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Archiv-Artikel

Integrations-Talkrunde ohne Gästeliste

RADIO In „Lateline“, einem Call-In-Format der ARD-Jugendwellen, diskutierten Hörer über den Islam

Religion und Integration sind Themen, die Formate sprengen. Seit der Wulff-Rede in Bremen wabern sie wieder verstärkt durch die Talkshows, in denen oft die gleichen Gesichter zu sehen sind. Dagegen gab es Dienstagnacht beim Call-In-Radioformat „Lateline“ von sieben der ARD-Jugendwellen (Bremen Vier, DasDing, N-Joy, on3-radio, MDR Sputnik, UnserDing und You FM) keine Gästeliste – jeder konnte mitreden. Die AnruferInnen brachten auch eigene Stereotype klar zur Sprache, wodurch der zweistündige Talk weniger abstrakt wirkte als manche Fernsehrunden.

Gesendet wurde aus der Moschee „Valide Sultan“ in Frankfurt am Main, Gäste waren der katholische Theologe Tobias Specker, 39, der seit kurzem Islamwissenschaften studiert, und der 21-jährige Imam Kadir Sanli. Moderator Holger Klein, selbst Atheist, stellte zu Beginn fest, dass Hass auf Muslime, verpackt in Islamkritik, modern sei. Entsprechend war die Frage der Sendung: „Der Islam gehört zu Deutschland. Wo ist eigentlich das Problem?“

Empörung über Seehofer

Die meisten AnruferInnen waren der gleichen Ansicht. Gleich der erste empörte sich über Horst Seehofers Einwanderungsregeln. Jesuit Specker stimmte zu: „Gerade als Christ will ich, dass andere Religionen hier leben.“ Die Behauptungen in Zeitungen und Nachrichten täten schon weh, so Imam Sanli. Ebenso solle man nicht Türken und Muslime in einen Topf werfen, fand Michael aus Oyten. Das Gegenbeispiel brachte Hörerin Jenny, die schilderte, wie sie von einem „jungen Mann mit Migrationshintergrund“ angepöbelt wurde und gekontert hatte: „Wir sind hier in Deutschland, benimm dich mal anständig.“ Moderator Klein fand das Argument „bescheuert“ und meinte, dass sie eine Frechheit nicht auf eine ganze Glaubensgemeinschaft beziehen könne. Vielleicht hatte sich Jenny verwählt und wollte eher über Machokultur sprechen als über den Islam? Jedenfalls rief Klein mehrmals dazu auf, nicht beides gleichzusetzen.

Ein Migrant aus der Türkei, der sich als „bibelfester Moslem, der an den Koran glaubt“ vorstellte, fand die politische Diskussion populistisch: „Man will aus der Sache Kapital schlagen. Aber ich bin Bürger, kein Kapital.“ Außerdem müssten sich Deutsche mehr für die Religion an sich interessieren, damit Gespräche über das Kopftuch hinaus möglich wären.

Zwar fanden Klein und seine Gäste nach zwei Stunden viele Probleme, aber nicht immer Lösungen – insofern unterschied man sich weniger von den etablierten Talkrunden mit den immergleichen Gästen.

TILMAN QUEITSCH

■ Teile der Sendung sind online auf www.lateline.de zu hören