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Archiv-Artikel

Wie geht es uns, Herr Küppersbusch?

Der 3. 10. ist eine Kohl’sche Setzung: Bequem, sinnfrei, und hinterher gibt’s lecker Essen. Mir bleibt der 9. 11. als Mehrfachsprengkopf angewandten Deutschtums plausibler: Scheidemann, Hitlerputsch, „Kristallnacht“, Mauer auf

Von SR
Die Debatte um die Gesundheitsreform ist nur noch unter der Überschrift „die Eltern werden’s schon richten“ psychologisch verkraftbar

taz: Was war schlecht in der letzten Woche?

Friedrich Küppersbusch: Welcher Vollhorst parkt seinen Motorroller quer auf dem Radweg ? Na ja. Und welcher Radfahrer fährt exakt mitten drauf?

Was wird besser in dieser?

Antwort a) weiß nich, b) Friedrich. Einsender mit den richtigen Antworten dürfen die Platzwunde im Oberschenkel angucken.

Gehen Sie jetzt auch aus Solidarität in die Neuenfels-Inszenierung von Mozarts „Idomeneo“?

Nö. Wäre ich vorher auch nicht reingegangen.

Haben die Deutschen mal wieder zu viel Angst?

Ein Papst hat eine andere Amtspflicht, Wirk- und Reichweite seiner Äußerungen zu bedenken als Künstler oder auch Karikaturisten. Das Recht, radikal nur für sich selbst zu sprechen, ist schützenswertes Gut unserer Kultur.

Morgen wird die deutschen Einheit gefeiert. Haben Sie sich an den 3. Oktober gewöhnt? Oder brauchen wir einen anderen Nationalfeiertag?

Mir bleibt der 9. 11. als Mehrfachsprengkopf angewandten Deutschtums plausibler: Scheidemann ruft die Republik aus, Hitlerputsch, „Kristallnacht“, Mauer auf und so weiter. Dagegen ist der 3. 10. eine Kohl’sche Setzung: Bequem, sinnfrei, und hinterher gibt’s lecker Essen.

Die Wirtschaft brummt im Westen der Republik und im Osten nicht. Warum?

Vermutlich brummt sie, weil sie den Text vergessen hat.

Das einzige, was im Osten derzeit wächst, sind die Wahlergebnisse der Neonazipartei NPD. Was tun?

Die letzte große Koalition hatte den nämlichen Effekt in der alten Bundesrepublik. Ich erfreue mich erst mal daran, dass es offenbar doch politische Lerneffekte gibt und räume dem Osten ein, sie nachzuholen wie anderes auch.

Die Eisenbahngewerkschaft streikt. Zu Recht?

Die Bahn vom Schienennetz zu trennen, mag eine politische Entscheidung sein und damit jenseits dessen, was Gewerkschaften tariflich mitzubestimmen hätten. Wie man nach Siemens/BenQ allerdings auf die Idee kommt, sich an seinen Arbeitgeber zu halten, bevor man zum Erschießen ausgewildert wird, muss mir auch keiner erklären.

Verstehen Sie eigentlich noch, worum es bei dem Streit um die Gesundheitsreform geht?

Nein, und es führt mich zu der These, dass es neben dem Recht, gut regiert zu werden, ein gleichrangiges Recht gibt, Regierungshandeln und Gesetzgebung verstehen zu können. Die konkrete deutsche Sehnsucht nach Führung ist in eine eher wabernden Sehnsucht nach Expertokratie verdampft; und die Debatte um die Gesundheitsreform ist nur noch unter der Überschrift „die Eltern werden’s schon richten“ psychologisch verkraftbar. Auch weil viele Journalisten mit den Regierenden gemeinsame Sache machen und dünkelhaft alle für doof, populistisch und nicht diskursfähig halten, die nicht mehr folgen können. Das reißt dann die Marktlücke auf für die ganz üblen Vereinfacher, siehe NPD. Die Leute wählen so doof, wie sie vorher verkindert werden.

Irgendwie tragisch, dass die große Koalition vielleicht an einem Konflikt scheitert, den nur ein paar hundert Leute begriffen haben – oder?

Mutet mir eher an wie der Versuch, sich zu unterscheiden, ohne sich zu unterscheiden. Sprich: Beide Koalitionsparteien legen sich einen Konflikt ins Regal, an dem sie’s bedarfsweise krachen lassen können. Allerdings einen, den keine Sau versteht, weil man nicht das eigene Lager motivieren, sondern sich um den kultisch verehrten Wechselwähler prügeln möchte im möglichen Wahlkampf.

Am Donnerstag fährt Angela Merkel in die Türkei – zum ersten Mal als Kanzlerin. Sie ist zwar noch immer gegen den EU-Beitritt, macht aber völlig pragmatische Politik. Zu Recht?

Merkel eiert rum zwischen allerlei Begehrlichkeiten: Der amerikanische Traum, die EU zur Folklore-Verwaltung der Nato zu degenerieren – da muss die Türkei rein. Dann wieder „christlich verfasstes Europa“ – da dürfen sie nicht mitmachen. Hoffnung, mit ausländerfeindlichen Vorurteilen Wähler zu gewinnen hie, Hoffnung auf Stimmen deutschtürkischer Wähler da. Um ehrlich zu sein: Viel mehr als Rumeiern geht da gar nicht.

Und was macht Borussia Dortmund?

Ja nun. Das unbekümmert Fröhliche sehe ich derzeit eher beim Nürnberger Club. FRAGEN: SR