Die Antithese zum Pop

Am Mittwoch treten im Maria Gaggle aus London auf, die in Großbritannien für einige Furore sorgten und in diesem Sommer eigentlich bei allen wichtigen Festivals angetreten sind, auf Camden Crawl, bei The Great Escape, in Reading und in Leeds. Was noch nicht das Besondere ist. Auch nicht, dass Gaggle rein weiblich besetzt ist. Und nicht die Musik mit dem gegen bollernde Computerbeats gesetzten wilden Gesang, womit man der Sache aber näher kommt. Die Besonderheit: Bei Gaggle handelt es sich um einen Chor. Und damit ganz nah am Alleinstellungsmerkmal im Popgeschäft.

Was eigentlich ein wenig verwunderlich ist, weil Pop doch ganz entschieden eine Vokalmusik ist und die reine Instrumentalmusik in dem Geschäft tatsächlich vernachlässigt werden kann, weil immer gesungen wird, solistisch und im Harmony-Gesang, nach den Rollen und Gesangslagen sortiert bei den Boygroups, bei den Girlgroups. Im Chor aber macht man das nicht. Almut Klotz hat das mal versucht mit ihrem Popchor Berlin am Anfang dieses Jahrtausends, ohne wirklich Erfolg damit zu haben. Man muss schon etwas weiter zurückschauen in der Geschichte, um überhaupt einen massenplausiblen Chor im Pop zu finden, wie das die Les Humphries Singers waren, auch im bunt durchmischten Personal so eine Spätfolge von „Hair“ und Flower Power, was in fröhlich abgemilderter Form in die bundesdeutschen Wohnzimer getragen wurde. Anfang der siebziger Jahre waren die Les Humphries Singers Dauergast in den oberen Rängen der deutschen Hitparade. In dieser Zeit gab es auch Les Poppys aus Frankreich, die in Deutschland sogar noch größer als die Beatles waren. Ein Kinderchor. Aber Kinder gehen ja immer mal. Dann gab es noch hier und da den Chor als Charity-Veranstaltung wie bei „We Are The World“. Und sonst? Nichts. Schon rein rechnerisch scheint der Chor eine Antithese zum Pop zu sein.

Die Gründe? Vielleicht, dass so ein Satz wie „Ich gehe heute Abend zur Chorprobe“ nicht zu den wirklich hippen Sätzen zählt, und daran sind nicht nur die Fischer-Chöre schuld. Außerdem: Ein Chor ist tendenziell ein Forum auch für Geselligkeit. Pop, als ein konkurrierendes System, ist das tendenziell eher nicht.

Aber es gibt sie trotzdem, die Chöre. Viele verschiedene, die auch Pop singen. Und das tun sie halt eher am Popgeschäft vorbei. Seit 20 Jahren machen das etwa die RosaCavaliere, Berlins schwuler Männerchor, der mit zwei Konzerten heute und morgen in der Werkstatt der Kulturen sein Jubiläum feiert (Wissmannstraße 32, 20 Uhr, 15/9,50 Euro). Oder eben Gaggle, die Gegenthese zur Antithese, am Mittwoch im Maria (Schillingbrücke, 21 Uhr, VVK: 16 Euro). THOMAS MAUCH