Früher waren die Schlösser viel schöner

BAROCK Andreas Schlüter gab dem Berliner Stadtschloss seine Form. So verdienstvoll es ist, an den barocken Bildhauer zu erinnern, so ärgerlich ist die propagandistische Zielsetzung der Schau „Schloss Bau Meister“

Den „schiefen Fritz“, wie ihn seine Frau nannte, modellierte Schlüter ohne Buckel, als strahlend-schönen Apoll, der geradezu tänzelnd nach vorne drängt

VON RONALD BERG

Andreas Schlüter ist ein Phantom. Über diesen „Michelangelo des Nordens“ ist nur wenig bekannt. Wahrscheinlich 1659 in Danzig geboren, wurde er dort zum Bildhauer ausgebildet, war dann in Diensten des polnischen Königs und wurde schließlich nach Berlin als Hofbildhauer von Kurfürst Friedrich III. berufen. Nach dessen Tod im Jahr 1713 wurde Schlüter entlassen, ein Jahr später starb er in St. Petersburg. Schlüters buchstäblich größtes Werk in Berlin waren Umbau und Erweiterung des Schlosses. Dessen altertümliche Gestalt wurde der Standeserhöhung des Kurfürsten zum ersten König „in Preußen“ nicht mehr gerecht: Das Königreich des ab 1701 als Friedrich I. firmierenden Herrschers verlangte nach neuer und großartiger Repräsentation.

Schlüter wurde der Mann der Stunde. Er machte aus dem größtenteils in Renaissanceformen gehaltenen Schloss eine barocke Prachtresidenz. Zum Zuge kam der architektonische Laie nur, weil gerade kein anderer geeigneter Architekt zur Hand war und weil er unaufgefordert einen Plan vorlegte, der überzeugte. Das Bode-Museum nimmt nun den 300. Todestag von Schlüter zum Anlass, das wenig bekannte Genie unter dem Titel „Schloss Bau Meister“ zu feiern. Absicht von Kurator Hans-Ulrich Kessler vom Bode-Museum war es, eine Vorstellung vom Glanz des barocken Berlins zu vermitteln, der aus dem Stadtbild inzwischen verschwunden ist.

Umso mehr erstaunt, wie viel Kessler aufzubieten hat: Mehr als 230 Skulpturen, Gemälde, Grafiken sowie Architekturelemente und kunstgewerbliche Objekte sind zu sehen. Die Ausstellung hat darüber hinaus Satelliten, auf die ein eigens herausgegebener Stadtführer hinweist. Schlüter ist durchaus noch präsent in Berlin, etwa mit seinen Masken von sterbenden Kriegern am Zeughaus oder mit den Prunksärgen für das erste preußische Königspaar in der Gruft des Berliner Doms. Schlüters Reiterstandbild des Großen Kurfürsten entstand zwischen 1696 und 1709. Ursprünglich stand es auf der Langen Brücke zwischen dem neukonzipierten Schloss und der Alten Post auf der anderen Spreeseite, die Schlüter ebenfalls in edlen Barockformen erweiterte. Der Bronzeguss des Reiterdenkmals war für die damalige Zeit absolutes Hightech. Ein eigenes Kapitel der Schau ist deshalb auch Schlüters Gießer, Johann Jacobi gewidmet. Gleichzeitig ist das Reiterstandbild bestes Beispiel sowohl für die bildhauerische Klasse von Schlüter wie für seine urbanistische Idee einer Residenzstadt.

Vorbild für das Monument ist das Reiterstandbild Heinrichs IV. auf der Pariser Pont Neuf. Womit der Anspruch unterstrichen war, mit wem man den neuen Preußenkönig zu vergleichen hätte. Auch in der Gestalt des Denkmals mit angeketteten Sklaven am Sockel nimmt Schlüter Anleihen beim Pariser Vorbild. Schlüters besondere Begabung ist es, solche Vorbilder schöpferisch weiterzuentwickeln. Vor allem aber zeigt sich Schlüters Meisterschaft, wenn er auf der einen Schauseite der Figur einen dynamischen Kriegsherrn mit Marschallstab modelliert, während auf der anderen optisch der weise Herrscher dominiert.

Mit der Wirklichkeit hatten solche Repräsentationsfiguren wenig zu tun. Friedrich III./I., den „schiefen Fritz“ wie ihn seine Frau nannte, modellierte Schlüter als strahlend-schönen Apoll, der – ohne seinen Buckel – geradezu tänzelnd nach vorne drängt. Bei der Porträtbüste des Landgrafen Friedrich II. von Hessen-Homburg – einem der wenigen überkommenen Bronzewerke – kann man sehen, mit welcher Bravour Schlüter die Oberflächen von Haut, Haar, Rüstung und Gewand differenziert. Es scheint, als würde das pulsierende Leben aus der Figur herausdrängen.

Auch beim Schloss ist diese Fähigkeit zu Dynamik enthalten, nicht nur durch den reichen Besatz mit Bauplastik, sondern in der Art, wie Schlüter Fensterachsen subtil zusammenrücken lässt, um die Betrachterperspektive zu steigern. Oder wenn er beim Kolossalsäulenpaar eines Portalrisaliten die inneren etwas schmaler macht als die äußeren Exemplare. Hier zeigt sich, wie die vereinheitlichende Strenge der barocken Kubatur mit nuancierter Binnenstruktur ausbalanciert wird, wie Schlüter Herrschaft und Leidenschaft in die Waage bringt. Etliche Beispiele der neugearbeiteten Bauplastik, ein hölzernes Schlossmodell und hübsche Filmchen gegen Ende des Ausstellungsparcours machen die Schau dann aber plötzlich zu einem Plädoyer für die Rekonstruktion des Schlüterschlosses. Man erkennt die Absicht und ist verstimmt.

■ Bode-Museum, bis 13. Juli 2014. Der 539 Seiten starke Katalog ist im Hirmer Verlag erschienen und kostet im Museum 29,90 Euro