: Was übrigblieb vom Übergang
DOKU „Nach der Revolution“ von Dörte Franke und Marc Bauder ist eine erstaunlich aktuelle Bestandsaufnahme über die verpassten Chancen der Wendezeit mit ihren Utopien – und kein bisschen missmutig (So., 22 Uhr, 3sat)
VON STEFFEN GRIMBERG
Wir wollen die Veränderung dieses Landes, weil dieses Land sonst kaputtgeht“, sagt ein Mann mit beeindruckendem Braunbart, der auf einem Gartenmäuerchen sitzt; drei weitere Herren hocken angespannt daneben: Sommer 1989, eine Art gefilmte Gründungserklärung der Sozialdemokraten in der DDR, die sich noch SDP nennen. Die große Mauer steht da noch ein paar Monate. Das Video ist grisselig, aber bunt – und echt. Am Ende wird das Mikro eingepackt, ein Junge läuft durchs Bild.
20 Jahre später ist der Bart noch dran, aber modisch gestutzt. Und grau, grau wie der graublaue Hintergrund des gesamtdeutschen Politikalltags. Grau wie die Wände in den Bürohäusern der Berliner Volksvertreter. Der Mann ist Markus Meckel, jetzt sitzt er als Abgeordneter der SPD im Bundestag und sagt, 1989 hätten die Menschen in der DDR ihr Bewusstsein entdeckt, das „Bewusstsein, dass es möglich ist, Verantwortung für die eigene Wirklichkeit zu übernehmen“. 2009 hält Meckel, letzter Außenminister der ersten (und letzten) frei gewählten DDR-Regierung, seine Rede vor einem ziemlich leeren Bundestagsplenum. Der Kontrast dieser Bilder spricht für sich.
Doch „Nach der Revolution“ ist keine missmutige Antwort auf die schlichten Jubelfilmchen zu 20 Jahren deutscher Einheit. Sondern eine engagierte Bestandsaufnahme über das, was blieb – und das, was hätte sein können. Damit ist die Dokumentation aktueller, als der Anlass scheint. „Wir wollten aus der Gegenwart heraus sehen, was passiert ist, nicht von hinten, 1989 anfangen“, sagt Marc Bauder, Wessi, Jahrgang 1974. „Uns ging es auch nicht darum, das ‚Ob‘ in Sachen Wiedervereinigung zu hinterfragen – sondern das ‚Wie‘. Dafür steht ein anderes ‚Ob‘ als Grundfrage über dem gesamten Film – ob 1989/1990 eine riesige Chance verpasst wurde, oder ob es sie so nie gab.
Die verblüffendste Antwort, die „Nach der Revolution“ gibt, gleich vorweg: Die Chance wurde zunächst einmal verpasst. Aber es gibt sie immer noch.
Hier geht endlich mal eine Doku detailliert ein auf diese kurze Zeit der Utopie, „viele Menschen wissen gar nicht mehr, dass zwischen dem Mauerfall im November 1989 und der ersten freien Volkskammerwahl 1990 etwas passiert ist – und da ist viel passiert, aber für die meisten gehen heute diese Daten einfach zusammen“, sagt Dörte Franke, 1974 in Leipzig geboren und 1982 in die BRD ausgereist: „Und so entsteht der nächste blinde Fleck.“ Zusammen mit Marc Bauder hat sie schon mehrere Filme zur deutsch-deutschen Vergangenheit gedreht, die immer mehr nach der Gegenwart fragen. Wenn man sich die Fragestellungen am runden Tisch zur möglichen eigenen neuen DDR-Verfassung anschaut, „ist doch erstaunlich, dass man heute nicht sagt: Alles Quatsch, hat sich erledigt, wir sind weiter“, so Franke.
Denn die damals aufgerufenen Probleme – vom Recht auf Arbeit, der Frage nach den Folgen der Wachstumsideologie, der Ellenbogengesellschaft, – sie bestehen bis heute, nur dass aus den Entwürfen des runden Tischs eben keine gesamtdeutsche Verfassung geworden ist. Das unterstreichen auch die in ihrer elegischen Pracht großartigen Aufnahmen (Kamera: Börries Weiffenbach): Markus Meckel beim einsamen Radtourwahlkampf in seinem uckermärkischen Wahlkreis, den er bei den Bundestagswahlen 2009 verlieren wird. Reinhard Schult, der trotzig ein Gartengatter schließt, um Grenzen aufzuzeigen. Und immer wieder die Bilder aus der künstlichen Welt des Politikbetriebs.
„In unserem Land ist die Kommunikation zwischen Staat und Gesellschaft offensichtlich gestört. Wir verzetteln uns in übelgelaunter Passivität und hätten doch Wichtigeres zu tun für unser Leben, unser Land und die Menschen“, heißt es im Gründungsaufruf des Neuen Forums. Der Film schneidet kokett die heutige Realität dagegen, Menschen, die sich an verschlossenen Glastüren die Nase plattdrücken – sie führen in den Reichstag, diesen seltsam unzugänglichen Publikumsmagneten.
Doch etwas tut sich auch ganz real und ungeplant im Film: Im Dezember 2009 wird Poppe zur ersten Stasi-Beauftragten in Brandenburg gewählt. Und das Bewusstsein, „dass es möglich ist, Verantwortung für die eigene Wirklichkeit zu übernehmen“, zeigt sich in Stuttgart genauso wie beim Protest gegen den Ausstieg aus dem Atomausstieg. Nach der Revolution ist – jetzt.