Schneller gucken

Kopieren, bis man wieder ein Original bekommt: das Musical „Bollywood – The Show“

Dass „Bollywood – The Show“ mit einem Lautsprecherhinweis auf das Verbot von Ton- und Filmaufnahmen aus „urheberrechtlichen Gründen“ beginnt, klingt fast wie ein kleiner Treppenwitz der Kulturgeschichte. Piraterie ist schließlich der Bodensatz dieses Genres, und ohne die fröhliche Missachtung geistigen Eigentums wäre auch diese Show nie geboren worden. Schon der Name Bollywood verweist ja auf gewisse Synergieeffekte; und das nicht nur, weil Indiens „Hollywood“ im Bombay liegt, sondern auch, weil die mächtige indische Traumfabrik sich von Anfang an neben der eigenen Tradition hemmungslos westlicher Unterhaltungsrezepte bediente. „Melodram, Musical, Michael Jackson – 50 Jahre lang haben wir alles kopiert, kopiert, kopiert“, erklärt Arif Zakaria, der ein ganz entspanntes Verhältnis dazu hat: „Wir haben so viel kopiert, dass wir nun ein Original haben. Das müssen Sie zugeben. Alle Einzelteile sind von der Welt geborgt, aber wir geben sie Ihnen in einer indischen Verpackung.“

20 Jahre lang hat Zakaria TV-Serien gedreht und in zahlreichen indischen Filmen gespielt. Nun steht er in „Bollywood – The Show“ auf der Bühne, wobei man sich diese Show wiederum als Bollywood in westlicher Verpackung vorstellen darf. Seit Bollywoodfilme, die in Indien jährlich drei Milliarden Zuschauer in die Kinos locken, auch im Rest der Welt immer beliebter werden, haben sich geschäftstüchtige Köpfe den nächsten Turn im Kulturprodukt-Austausch-Reigen überlegt: Bollywood goes Broadway. Und zwar big. Gleich zwei Bühnenproduktionen touren zurzeit durch Europa. „Bharati“ rühmt sich, „das größte Bühnenspektakel der Gegenwart“ zu sein und sage und schreibe mit 1.000 Kostümen aufzuwarten; bei „Bollywood – The Show“, die im Berliner Admiralspalast ihre Deutschlandtour beginnt, sind in zweieinviertel Stunden immerhin 700 zu sehen. Wenn man so schnell gucken kann.

Erzählt wird in beiden Produktionen von Kampf und Versöhnung zwischen Tradition und Moderne. Ein urindisches Thema, zu dem das zeitgenössische europäische Publikum mit seinen Indienprojektionen zwischen 1001 Nacht und IT-Boom leicht Zugang findet. „Bollywood – The Show“ (im Untertitel „The Story of the Merchant Familiy“) hat darüber hinaus den Vorteil, dass es eine authentische Geschichte verspricht: Die Choreografin der Show ist Vaibhavi Merchant, Spross ebenjener berühmten Merchant Family und mit nur 30 Jahren eine der gefragtesten Choreografinnen Bollywoods.

Ihre Larger-than-life-Karriere fliegt auf der Bühne vorbei. Sie beginnt mit der Rebellion des jungen Mädchens (getanzt von Carol Furtado) gegen ihren Großvater, einen berühmten Kathak-Tänzer und Star der frühen, goldenen Bollywood-Ära. Sie will sich der Tradition nicht unterordnen und verlässt das Heimatdorf, um mit modernem Tanz im neuen Bollywood Karriere zu machen. Der Großvater (gespielt von Arif Zakarias) verstößt sie, aber ach, wird einsam und trinkt zu viel Alkohol. Das Mädchen hat Erfolg, aber weh, sie spürt, dass Familie wichtiger ist, und kehrt zurück. Sie erfährt die Kraft der indischen Tanztradition, und als der Opa stirbt, verbindet sie fortan Alt und Neu in Harmonie.

Mehr Inhalt muss keine Bollywood-Geschichte haben. Im Unterschied zum Film jedoch, wo in drei Stunden sechs Choreografien gezeigt werden, wird hier höchstens sechs Minuten nicht getanzt. Das ermüdet sogar die Zuschauer, zumal die Musik aus der Dose kommt. Figuren, die einerseits Jackson, Elvis, West-Side-Story, Tango, Salsa und die Village People zitieren, machen dann andererseits elektrifizierten Bauchtanz. Wenn am Ende des Parcours de Force 40 Tänzer das Publikum mit „It’s time to disco!“ auf die Bühne einladen, meint man tatsächlich, das Fernsehballett auf Speed vor sich zu haben.

In Indien wird die Show nicht gezeigt, da es dort keine Musical-Tradition gibt und sie vor allem viel zu teuer ist. Es ist eben doch die westliche Verpackung, für die sich der englische Regisseur Toby Gough entschieden hat. Und damit kennt er sich aus: Auf Kuba hat er schon „Lady Salsa“, in Malawi „The African Julius Caesar“ und am Strand von Barbados Shakespeare mit Kylie Minogue inszeniert. Geht alles. Und im gleichen wachsenden kulturellen Bermuda-Dreieck wird sicher auch „Bollywood – The Show“ ein Publikum finden.

CHRISTIANE KÜHL

„Bollywood – The Show“: Premiere im Admiralspalast in Berlin am 6. Oktober; weitere Daten und Orte der Tournee sind unter www.bollywoodshow.de zu finden