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Archiv-Artikel

Niemand schärfer als wir!

Schaut in den Spiegel und seid gewiss, dass uns Gott den Arsch versohlen wird, wenn wir die Menschen in Darfur nicht schützen, sondern weiter wegschauen. Werdet human! Ein Weckruf

VON JOSEF REICH

Das Gemetzel in Darfur war bereits in vollem Gange, als man sich zu Gedenkveranstaltungen für Ruanda durchrang. Ungezählte Entscheidungsträger schämten sich also würdevoll, feierlich und öffentlich für ihr Wegschauen – um gleichzeitig wieder wegzuschauen. Das war 2004, und seither hat sich nichts geändert. Ist es nicht zum Schreien? Ist es nicht, auf global-anonymer Ebene, ein ähnliches Wegschauen, wie es die Mehrheit der arischen Nachbarn auf persönlich-zwischenmenschlicher Ebene praktizierte, als die Juden abgeholt wurden?

Es wäre das Mindeste, wenn beispielsweise ein religiös angehauchter Popstar wie Xavier Naidoo oder eine ausrangierte Politik-Ikone wie Joschka Fischer ihre wohlstandsgestählten Körper vor dem Reichstag platzierten und in den Hungerstreik treten würden. Wenn sie Schüler und Studenten dazu brächten, die Flughäfen, Bahnhofsgleise und Autobahnen unserer Republik zu blockieren. Wenn alles solange lahmgelegt wäre, bis unsere Angela Merkel sich in eine tollwütig-dreiste Mahatma-Gandhi-Nachahmerin verwandelte und –im Gegensatz zu ihrem Amtsvorgänger – zur Tat schritte.

Das ausgeflippte Deutschland würde mit Wirtschaftsblockaden und dem Austritt aus Nato sowie UNO drohen, die menschenverachtende Haltung Chinas, Russlands und der Arabischen Liga zum globalen Konfliktrisiko machen. Im Blitzkriegtempo würden wir eine einsatzbereite Bundeswehrtruppe nebst humanitärem Hilfsaufgebot deutscher NGOs aufbieten und in die Katastrophenregion einfliegen lassen. Im allerschlimmsten Falle würden wir wahnsinnig Gewordenen – wie die anglo-amerikanische „Koalition der Willigen“ – auch ohne UN-Mandat handeln. Mag sein, dass wir über ein halbes Jahrhundert hinweg vom moralischen Nachglühen unserer Verbrechen paralysiert waren. Ab jetzt aber würde niemand schärfer reagieren als wir, wenn sich irgendwo ein neuer Genozid anbahnte.

Die sich an der Unterdrückung der Frau, an Massendemonstrationen gegen Karikaturen oder der Möglichkeit einer baldigen Auslöschung des Judenstaates erfreuenden Islamisten, die der Hitler-Vergangenheit Deutschlands unverhohlene Sympathie entgegenbringen und den Genozid an ihren schwarzhäutigen Glaubensgenossen im Sudan lächelnd zur Kenntnis nehmen – sie hätten es plötzlich mit einem Gegner zu tun, mit dem sie so ganz und gar nicht gerechnet hatten: Die gleiche Nation, die ihnen vor 70 Jahren vormachte, wie genial man mit Totalitarismus und Judenhass das Volk zu einer selbstmordbereiten Einheit zusammenschmieden kann, dieses Deutschland brächte ihnen nun bei, dass Humanität stärker ist als alles andere.

Zurück in die deprimierende Wirklichkeit. Kaum einer tut was. Auf der Website der Gesellschaft für bedrohte Völker, www.gfbv.de, können wir immerhin vorgefertigte E-Mail-Petitionen abschicken, an Merkel, Steinmeier, Wieczorek-Zeul, Chirac und Blair. Opfert fünf Minuten in der Mittagspause, liebe Leser und Leserinnen, gebt eure E-Mail-Adresse und Namen ein und klickt auf: Absenden.

Man muss nicht an den Bibel-Gott glauben, um sich vor dessen Strafe für unser Nichtstun zu fürchten. Es genügt das Bewusstsein, dass Gott sich als quasi unzerstörbares Konstrukt in unserem Unbewussten eingenistet hat, ein Konstrukt, das uns anklagt, unser Leben und unsere Daseinsberechtigung verwirkt zu haben, wenn wir nichts gegen das Morden in Darfur tun. Eine Wahrheit, die wir verinnerlichen sollten. Wir sollten uns auch nicht schämen, dass wir im Grunde nur wenig emotionale Betroffenheit gegenüber dem Horror in Darfur verspüren. Können wir ja gar nicht, weil – apropos Gott – unsere gottverlassenen Medienmacher uns so gut wie nichts davon berichten.

In der Tat gibt es auch noch andere Katastrophen, wie Hunger, Aids, Malaria, Kinderarbeit, unfairer Handel, Waffenhandel etc., und leider Gottes weitere kriegerische Brandherde und Unterdrücker-Regime. Der Genozid in Darfur ist jedoch zurzeit das drastischste, was auf unserem Planeten abgeht, und das Gewährenlassen von Völkermord ist – die meisten werden mir da beipflichten – irgendwie noch unmenschlicher als das Gewährenlassen von Armut, Krankheit und Unterdrückung.

Am Abend des 22. September war das jüdische Neujahrsfest. Der jüdischen Zeitrechnung nach begaben wir uns in das Jahr 5767. ZehnTage später, am Jom Kippur, dem Versöhnungsfest, wird der Allmächtige um Vergebung der im Vorjahr begangenen Sünden gebeten, und darum, dass man das kommende Jahr gesund überstehen möge. Sollte es in Darfur tatsächlich zu keinerlei Intervention kommen, und das Morden und Sterben, Gott behüte, eskalieren, wünsche ich böser Mensch von ganzem Herzen allen, die meinen Artikel lesen – sofern sie untätig geblieben sind –, ein so richtig verfluchtes Jahr. Genauso, wie es dann wohl auch die unschuldigen Menschen in der dortigen Region zu gewärtigen haben.

Wenn ihr morgens in den Spiegel guckt, schämt euch – für und vor euch selbst. Denkt lange und ausgiebig an die Leiden im ach so fernen Darfur. Denkt an die grauenhaften Bilder, die ihr niemals gesehen habt, weil in unseren Medien keiner daran denkt, sie in unsere ach so friedlichen Wohnzimmer zu transportieren.

Schaut in den Spiegel und seid euch gewiss, dass uns Gott irgendwann mal den Arsch versohlen wird, wenn wir die Menschen in Darfur nicht in Schutz nehmen.