IRGENDWO IM OSTEN : Das Brummen
Das Viertel, in das es mich verschlagen hat, liegt irgendwo zwischen einem Rangierbahnhof, einem Industriegebiet, einer Ausfallstraße und einem Wäldchen. An den Straßen, die nach heimischen Vögeln benannt sind, stehen niedrige Einfamilienhäuser mit Giebeldächern. Dazwischen Gärten. Eine Gartenstadt aus den 1920ern, unerwartete Idylle.
Die Siedlung befindet sich tief im Osten der Stadt, nicht jottwede, aber tief. Ein Junge radelt über das sonnenbeschienene Kopfsteinpflaster. Er ist vielleicht zehn, trägt aber eine Vokuhila-Frisur, wie sie anno Mauerfall mal Mode war. Solche Frisuren habe ich seit ewigen Zeiten nicht mehr gesehen, in diesem toten Winkel scheinen sie zu überleben. Genauso wie diese alten Straßenschilder mit den eng gesetzten Lettern.
Es ist einer dieser viel zu warmen Frühlingstage. Irgendwo brummt monoton ein Rasenmäher. Ich mag das Geräusch, es versetzt mich in eine träumerische Stimmung. Ein Sommergeräusch. Man riecht förmlich das frisch geschnittene Gras.
Dann, hinter der Ausfallstraße, verändert sich die Gegend. Kleingärten tun sich auf. Unzählige Datschen. Datschen mit Wellblechdächern, Datschen mit Deutschlandfähnchen. Sagt man das überhaupt noch? Datschen? Menschen sind keine zu sehen. Am Straßenrand warten eine halbe Hollywoodschaukel und ein Spiegelschränkchen fürs Badezimmer.
Linker Hand taucht ein Monstrum auf, ein Umspannwerk. Vor der riesigen grauen Halle führen armdicke Stromkabel über Bügel und Isolatoren. Gelbe Schilder warnen: Achtung, Lebensgefahr! Wer mag hier sein Gärtchen pflegen, gleich unter den Hochspannungsmasten, die wegführen vom Werk? Es riecht nach Ozon. Jetzt weiß ich auch, woher das Brummen kommt. Fürs Rasenmähen wäre es dann doch noch ein bisschen früh im Jahr.
CLAUDIUS PRÖSSER