: Der Sound der Airports
ALLSTAR-PROJEKT Geschickt verbinden Automat die eigene Vergangenheit in Postpunk und Industrial mit späteren Entwicklungen, die Berlin geprägt haben, vor allem natürlich Techno und andere elektronische Musik
VON THOMAS WINKLER
Man sollte Hartmut Mehdorn empfehlen, sich mal das Album von Automat anzuhören. Kommt jetzt raus. Könnte ihm gefallen. Nicht notgedrungen musikalisch, wer weiß denn schon, welche Musik der Mann, der gerade am Flughafenneubau zu scheitern droht, gern hört? Hat ja auch anderes zu tun. Aber inhaltlich muss sich Mehdorn angesprochen fühlen: Denn Automat denken zwar nicht wie der umstrittene Manager laut darüber nach, dass der Flughafen Tegel weiterhin geöffnet bleiben sollte, aber mit ihrem Debüt setzen sie Berlin ein Denkmal als Stadt, die nicht nur einen, nicht nur zwei, nicht drei, sondern einst sogar vier Flughäfen ihr eigen nannte.
Hinter dem urbanen Konzeptalbum steht eine interessante Besetzung. Alle drei Mitglieder von Automat hinterlassen schon seit Jahrzehnten ihre Spuren in der Berliner Musiklandschaft und weit darüber hinaus. Jochen Arbeit war Genialer Dilettant, spielte Gitarre bei Die Haut, den Einstürzenden Neubauten und den Jever Mountain Boys, macht Kunst, schreibt Musik fürs Tanztheater, baut Klanginstallationen. Achim Färber trommelte die neunziger Jahre hindurch für Philip Boa, für Katharina Franck von den Rainbirds, dann für Düstercombos wie Project Pitchfork und De/Vision und zuletzt für Prag, die Band, bei der auch Schauspielerin Nora Tschirner mittut. Dritter im Bunde ist der Bassist Georg Huber, der sich Zeitblom nennt, in den Achtzigern die Avantgarde-Rock-Formation Sovetskoe Foto gründete, bei HeavenAnd improvisierte, bei Golden Tone mit Elektronik experimentierte, später Hörspiele realisierte, und dabei immer hart an der Grenze zur bildenden Kunst agierte.
Man sieht: gutes, altes Westberlin, das allerdings dank guter Vernetzung und künstlerischer Renitenz ins neue, größere Berlin hinübergerettet hat, was es während der düsteren Postpunk-Zeiten über Grenzüberschreitungen und interdisziplinäres Arbeiten gelernt hat. Aus den achtziger Jahren stammt vermutlich auch die Faszination für jenes geteilte Berlin, dem die Allstar-Band mithilfe der prominenten Gäste Lydia Lunch, Blixa Bargeld und Genesis Breyer P-Orridge auf ihrem ersten Album nachgehen.
Nun tragen die vehement pulsierenden Tracks die Titel „TXL“, „SXF“, „THF“ und „GWW“, also die internationalen Flughafen-Codes von Tegel, Schönefeld, Tempelhof und dem 1994 geschlossenen Militärflugplatz Gatow, wo während der Berlinblockade ebenfalls Rosinenbomber landeten. Neben diesen vier Instrumentaltracks darf Lydia Lunch zum konzentrierten Dub von „The Streets“ weitgehend Unverständliches über die „working poor“ hauchen und singen, Bargeld in „Schlachtensee“ gewohnt missmutig so schöne Wörter wie „Gehwegschwankung“ oder „Ereignishorizont“ grummeln, und Genesis P-Orridge – warum auch immer – den in Kalifornien gelegenen „Mount Tamalpais“ besprechen, während zu entspannten Beats irgendwas irgendwie esoterisch wabert.
Hartmut Mehdorn mag es nicht gefallen, dass es keinen Song mit dem Titel „BER“ gibt, aber eine stotternde Entrauchungsanlage ist auch so ziemlich das Gegenteil von dem, was Automat musikalisch im Sinn haben. Geschickt verbinden sie die eigenen Vergangenheit in Postpunk und Industrial mit späteren Entwicklungen, die Berlin geprägt haben, vor allem natürlich Techno und andere elektronische Musik.
Automat aber biedern sich aber nicht an, sie absorbieren und stellen eine Essenz aus den vergangenen Jahrzehnten her. Vor allem aber wissen Arbeit, Färber und Zeitblom aus langjähriger Erfahrung, wie man einen Beat verlegt, ihn mit Dub und anderen Werkzeugen wieder zerlegt, verlangsamt und verfremdet.
Denn Rhythmus ist ihr Geschäft, Angst haben sie selbst vor der Monotonie nicht, wenn sie ganz genau auf den Puls der Stadt hören. So entsteht aber nicht nur ein Soundtrack, zu dem man durch die Straßen von Friedrichshain oder Kreuzberg fahren könnte, sondern tatsächlich ein klingendes Porträt von Berlin. Lebendig wird eine Stadt, in der der Rhythmus des Nachtlebens seine Fortsetzung im Beat der Baustellen findet, wo in Galerien getanzt wird und mancher Abend im Club zur Installation gerinnt. Eine Stadt, in die Tagediebe und Spitzenspinner, Amüsierwillige und Glückssucher, Mover und Shaker, Schnorrer und Penner zu Tausenden einfliegen. Vielleicht ja irgendwann tatsächlich auf dem neuen, dann einzigen Berliner Flughafen.
■ Automat: „Automat“ (Bureau B/Indigo), live am 18. April im Roten Salon der Volksbühne