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Archiv-Artikel

Synergien auf leisen Sohlen

„Win/Win“ oder spar spar? Die TänzerInnen des Bremer und des Oldenburger Theaters firmieren künftig als gemeinsame „Tanzcompagnie Nord-West“. Unterm Strich gibt es weniger Tänzer und mehr Premieren. Das bundesweit neuartige Modell verspricht „fast Festival-Charakter“

VON HENNING BLEYL

„Weniger ist mehr“, weiß der Volksmund, und auch die (designierten) Intendanten des Bremer und Oldenburger Theaters ziehen ihre Konsequenzen aus dieser Weisheit: Ab der kommenden Spielzeit werden die Tanzsparten ihrer Häuser zur „Tanzcompagnie Nord-West“ – so zumindest lautet der Arbeitstitel – zusammen gefasst. Die Laufzeit des „für Deutschland neuen Kooperationsmodells“ ist zunächst mit vier Jahren angegeben.

Die Intendanten-Rechnung geht so: In Bremen und Oldenburg werden je zehn TänzerInnen engagiert. Einmal pro Spielzeit stellen sie eine gemeinsame Produktion auf die Beine, vor Ort machen sie jeweils zwei weitere Stücke. Da die dann auch in der anderen Stadt Premiere feiern, sind an jedem Standort unterm Strich fünf Choreografien zu sehen. Mit dem 28-köpfigen Hannoveraner Ballett kann man damit zahlenmäßig immer noch nicht mithalten, ganz zu schweigen von den 32 Hamburger TänzerInnen zuzüglich der großen Neumeier’schen Solistengruppe. Aber zumindest für Oldenburg bedeutet das Modell in jedem Fall eine fulminante Verbesserung: In der gerade anlaufenden Spielzeit gibt es Tanz ausschließlich in Gestalt von Gastspielen, da der bisherigen Compagnie bereits gekündigt wurde.

In Bremen hat der designierte Generalintendant Hans Joachim Frey die Verträge ebenfalls nicht verlängert. Man müsse „auf Augenhöhe mit Oldenburg“ anfangen, sagt Frey – „also komplett bei Null“. Nun soll die gemeinsame Aufbauarbeit beginnen. In beiden Städten gibt es künftig einen „Choreograf in Residenz“, der eine Produktion pro Spielzeit kreiert. Gemeinsam sind sie für die Zusammenstellung des Ensembles verantwortlich. Der Oldenburger Resident hat schon unterschrieben: Es ist Jan Pusch, der bei John Neumeier in Hamburg getanzt hat und sich als kreativer Choreograf zunehmend einen Namen macht. Der 40-Jährige arbeitet auch als Regisseur und Komponist, gern bewegt er seine Tänzer auf großformatigen Videoprojektionen. Sein Partner in Bremen soll der bisherige Spartenleiter Urs Dietrich werden. Dessen Vertrag steht dem Vernehmen nach kurz vor der Unterzeichnung. Die Führungscrew wird komplettiert durch ein „Direktorium“, das die Gastchoreografen verpflichtet und für die gemeinsame Vertretung nach Außen sorgt. Ein solches Direktionsmodell gibt es bislang nur in Häusern wie Stuttgart oder München, wo große Ballettkompanien engagiert sind.

Die Besetzung der Posten mit Patricia Stöckemann und Honne Dohrmann verweist jedoch auf die eindeutige Ausrichtung der neuen Compagnie auf zeitgenössisches Tanztheater. Stöckemann ist bislang Tanzdramaturgin in Bremen, der Oldenburger Dohrmann hat zahlreiche Festivals wie „Tanz Bremen“ oder „Laokoon“ auf Kampnagel in Hamburg kuratiert. Will heißen: Personalpolitisch wahrt die neuen Konstruktion weit möglichst die Kontinuität.

Derzeit arbeiten in Bremen elf festangestellte TänzerInnen, in Oldenburg waren es zuletzt 13. Unter dem Stich gibt es künftig also vier TänzerInnen weniger, gleich viele Aufführungen – und ein bis zwei Premieren mehr pro Standort. „Wir sparen keinen Cent“, betont Oldenburgs neuer Intendant Markus Müller, eher werde „noch ein bisschen mehr“ ins Tanztheater investiert. Bislang liegen die speziellen Spartenausgaben bei 600 bis 700.000 Euro pro Spielzeit. In Bremen, wo wegen des Finanzcrash’ vom vergangenen Herbst extremer Sparzwang herrscht, wird hingegen schon gekürzt: „Wir gleichen uns dem Oldenburger Niveau an“, sagt Frey, was einer Kostenreduzierung von geschätzten 15 Prozent entspräche. Im Verhältnis lässt sich Oldenburg mit seinem 20 Millionen-Etat den Tanz mehr kosten als das Bremer 28 Millionen-Euro-Haus.

Während andernorts echte Fusionen geplant sind (etwa Hildesheim/Hannover oder Bonn/Köln) können Bremen und Oldenburg auch künftig ein eigenes Profil bewahren, glauben Frey und Müller. Hätte es langfristig Alternativen zur Kooperation gegeben? Aus Freys Sicht nicht. „In Bremen tanzt jetzt nur noch ein Drittel der Stammkompagnie, wie Johann Kresnik sie Anfang der Neunziger noch hatte.“ Anstatt die Kompagniegröße immer weiter herunter zuschrauben – „irgendwann wird dann aufgelöst“ – sei es sinnvoller, zusammen zu arbeiten. Im übrigen werde dem gemeinsamem Kind keine Hochzeit folgen, versichert Frey: „Solche Fusions-Gerüchte sind Quatsch.“

Müller sieht den Mehrwert vor allem in der größeren inhaltlichen Vielfalt: „Wenn viele Gastchoreografen kommen, wird dem Publikum auch eine größere Bandbreite geboten.“ Sein künftiger Kollege Frey drückt es noch zuversichtlicher aus: Für ihn hat das neue Modell „fast Festival-Charakter“.