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Archiv-Artikel

Karpfen neonblau

IDEE Im australischen Esperance stellen zwei Brüder Leder aus Fischhaut her

Schöne Stücke

■ Die Produkte: Ein begrenztes Sortiment der Firma kann über das Intenet bezogen werden: mermaid-leather, 6 Woods St., Esperance WA 6450, Tel.: (08 90) 71 52 48, www.mermaidleather.com.au

■ In Deutschland: Anatol Donkan vom Volk der Nanai hat die Technik der Fischlederverarbeitung wiederbelebt und in Viechtach im Bayerischen Wald ein Fischledermuseum gegründet. Spitalgasse 1, 94234 Viechtach, Tel.: (0 99 42) 80 96 71, www.donkan.de

VON FRANZ LERCHENMÜLLER

Es war eine dieser Schnaps- und Bierideen. „Lass es uns einfach versuchen“, sagte Andrew Mac Dermott. Und sein Kollege Robert Bubb hob das Glas mit Swan-Bräu und sagte „Okay“. Jahrelang hatten die beiden Fischer mit angesehen, wie Millionen von Fischen zu Filets geschnitten wurden, ihre Häute aber in der Fischmehlfabrik endeten. Was für eine Verschwendung, dachten sie. Ein festes, widerstandsfähiges Material wird einfach als Abfall entsorgt! Man müsste herausfinden, wie es haltbar zu machen wäre. Und genau das, beschlossen sie, würden sie tun. Das war im Jahre 1989.

Sie lasen, was über das Gerben von Fischleder zu finden war – und das war nicht viel. Also begannen sie selbst zu experimentieren. Fünf Jahre später war es so weit. Die beiden gaben die Fischerei endgültig auf, kauften Gerbtrommeln und eine Bügelmaschine und machten sich selbstständig. „Mermaid“ nannten sie ihre Firma, „Meerjungfrau“. Ohne freilich in Betracht zu ziehen, dass dieser Name eigenartige Assoziationen auslösen könnte: Geldbörsen aus dem Schwanz einer schönen Nixe …?

Eigentlich hat die Nutzung von Fischleder eine lange Geschichte. Ein sibirisches Volk vom Fluss Amur, die Nanai, stellte Kleider, Rucksäcke und sogar Zelte daraus her. Isländer trugen Schuhe aus Steinbeißerleder. Und gerade in Mangelzeiten nutzten die Menschen es als Ersatzmaterial: Im Jahr 1939 gab es allein in Deutschland zehn Fabriken für Fischleder. Doch dieses Wissen war verlorengegangen. Die Firmengründer und Andrews Bruder David, der Bubb 1997 ablöste, mussten ihr Handwerk mühsam neu erlernen. Heute haben sie einen Betrieb mit drei Angestellten in einer Wellblechhalle in dem 10.000-Einwohner-Städtchen Esperance an der Südküste Australiens.

Im großen Ausstellungsraum baumeln Stapel von Lederstreifen von der Decke: in warmem Ocker, mildem Grau, gedecktem Rosa und gebrochenem Türkis. In Vitrinen liegen bunte Lesezeichen, Schmuckkästchen und iPhone-Hüllen. In anderen sind Brief- und Handtaschen ausgestellt, oft aus Känguruhhaut, mit farbenprächtigem Fischlederbesatz. Und an den Wänden hängen abstrakte Bilder und Teppiche aus Sternen. Erst beim Näherkommen erkennt man, wie sorgfältig sie aus glitzernden Lederstückchen zusammengesetzt sind.

Rund sechs Wochen dauert der Fertigungsprozess, ein Video zeigt die einzelnen Stationen. Mit einem Filetiermesser werden die Häute von Hand gesäubert und kommen in eine Salzlösung. Dann werden in rotierenden Trommeln die Schuppen entfernt, die Stücke werden gewaschen, bis jeder Geruch verflogen ist, und anschließend gebeizt. „Das ist der Kern des Ganzen“, sagt Andrew, der, ganz charmanter „Buddy“, eher an einen erfolgreichen Schuhvertreter erinnert als an einen wortkargen Fischer. „Ob Barramundi, Rosa Snapper, Lachs oder Karpfen – jeder Fisch muss anders behandelt werden. Wir wissen wie – und diese Erfahrung ist das Kapital unserer Firma.“

Beim Beizen erhält das Leder seine Farbe: Für warme Erdtöne verwendet Andrew Naturstoffe wie Akazie oder Eukalyptus. Soll es modisch leuchten, kommen synthetische Mittel zum Einsatz. Anschließend werden die Teile getrocknet, ausgespannt und abgeschliffen. Was an Fasern anfällt, wird zu geschöpftem Papier verarbeitet. Jetzt werden sie noch bis zu sechs Mal gewachst und mit Harzen und Polymeren eingesprüht. Und zum guten Schluss folgen zwei Durchgänge durch die Heißmangel.

Bis zu dreißig Mal wird jedes einzelne Stück in die Hand genommen, ehe es im Laden liegt – was den Preis von umgerechnet 150 Euro für eine Geldbörse aus Barramundi- und Känguruhleder durchaus erklärt.

Andrew lässt die Häute verschiedener Fische herumgehen. Bei einigen sind die Schuppentaschen erhalten, was ein weiches, fluffiges Material ergibt. Andere sind glattgebügelt, glänzen azurblau oder altrosa und zeigen eine wunderschöne Schuppenzeichnung. Rochen ist rau, wird abgeschliffen und galt schon im 18. Jahrhundert als schick. Haileder, mit winzigen Haken besetzt, wurde früher um Schwertgriffe gewickelt oder unter Schneeschuhe gezogen. „Macht den Reißtest“, fordert Andrew auf. Und tatsächlich: Die Häute sind dünner als Kalbsleder, aber sehr elastisch und stabil.

Walhai hat übrigens die dickste Haut aller Lebewesen, sie ist bis zu 15 Zentimeter stark. Doch den haben sie nicht im Angebot. „Kein Fisch wird extra für Mermaid getötet“, betonen die Chefs. Nach wie vor kommt der ganze Nachschub an Dhufish, Harpuka, Breaksea und all den anderen, die meist gar keine deutschen Namen haben, aus den Fischfabriken am Ort. Ein prima Geschäftsmodell also – wenn da nicht das Problem der Größe wäre. Bis zu fünfzig mal zwölf Zentimeter messen die meisten Häute höchstens, was ihre Verarbeitung für größere Objekte schwierig macht. Doch immerhin haben die Brüder gerade den Auftrag erhalten, eine Luxusjacht mit ihren Ledern auszugestalten.

Ganz nebenbei haben sie übrigens noch einen weiteren Geschäftszweig aufgetan. Es ist ihnen gelungen, die Schuppen der Fische haltbar zu machen. Wie transparente Rosenblätter aus Plastik liegen sie in Gläsern: neongrün, zitronengelb, lachsorange, meertürkis. Man kann sie zu aparten Seerosen zusammenkleben oder Fischbilder daraus basteln. „Viele Leute kaufen sie inzwischen aber auch anstelle von Reis“, erzählt Andrew, „für Hochzeiten. Sie bringen Glück.“ Karpfenschuppen auf Brautpaare werfen – darauf muss erst mal einer kommen!