: In den Rücken geschossen
UNTERDRÜCKUNG Ein Buch rekapituliert das größte staatliche Massaker an Bewohnern Südafrikas seit dem Ende der Apartheid
Dieser Streik war eine der bemerkenswertesten und mutigsten Taten innerhalb der bisherigen globalen Arbeiter_innengeschichte“. Dieses Urteil steht ganz am Beginn dieses bemerkenswerten Readers über „Das Massaker von Marikana“. Am 16. August 2012 wurden in Marikana, einer Platin-Mine unweit der südafrikanischen Metropole Johannesburg, 34 Minenarbeiter von der Polizei ermordet. Viele von ihnen starben durch Schüsse in den Rücken. Es war das schlimmste Massaker staatlicher Sicherheitskräfte in Südafrika seit dem Ende der Apartheid, das Ärgste seit Soweto 1976. Es zeigt, wie die rechtlosesten Schichten der schwarzen Südafrikaner auch unter der Regentschaft des ANC Marginalisierte blieben. Aber das ist womöglich gar nicht das Interessanteste an diesem Fall.
Die Minenarbeiter von Marikana gehören zu den rechtlosesten Produzenten innerhalb der Verwertungskette des globalen Kapitalismus. Sie haben einen „wilden“ Streik für die Anhebung der Mindestlöhne in ihrem Unternehmen begonnen, ihre eigenen „basisdemokratischen“ Organisationsformen entwickelt und gerieten schnell nicht nur in Konfrontation mit dem Management, sondern auch mit den traditionellen ANC-nahen Gewerkschaften. Deren Führungsklüngel ist längst mit dem Establishment verwachsen und damit auch mit der Unternehmensführung. Nach wochenlangen Streiks wurden die Arbeiter von einem Polizeiaufgebot umstellt, mit einem Ring von Stacheldraht eingeschlossen – und dann wurde das Feuer auf sie eröffnet.
Dieses bemerkenswerte Buch leistet nun zweierlei. Erstens werden in einer akribischen Recherche die Ereignisse und deren Dynamik rekonstruiert. Es entsteht das Bild einer gewollten, brutalen Eskalation, wenngleich am Ende doch auch die Frage bleibt, ob das Massaker zweifelsfrei kaltblütig geplant war. Dass hier ein Polizeieinsatz aus dem Ruder gelaufen ist, ist nicht völlig ausgeschlossen.
Vor allem wird, zweitens, in Form einer packenden soziologischen Feldforschung den Arbeitern selbst das Wort gelassen. In ausführlichen Interviews schildern sie ihre Lebens- und Arbeitsumstände, und warum sie in den Streik traten und wie der Streik am Ende doch zu einem Erfolg wurde. Das Buch zeigt so exemplarisch, wie eine zeitgemäße Arbeiterbewegung der Ausgebeutetsten heute funktioniert. Es macht etwas sichtbar, was relevant ist – nicht nur für die Minen in Südafrika, sondern auch für Sweat-Shops in Bangladesch oder High-Tech-Fabriken in China. ROBERT MISIK
■ Peter Alexander, Thapelo Lekgowa et al.: „Das Massaker von Marikana. Widerstand und Unterdrückung von ArbeiterInnen in Südafrika“. Hrsg. v. Jakob Krameritsch. Mandelbaum Verlag, Wien 2013, 258 Seiten, 19,90 Euro