Unausgeschöpftes Potenzial

SCHULEN Mit einem „Entwicklungsplan Migration und Bildung“ will Bremen für mehr Bildungsgerechtigkeit sorgen. Anfang 2011 soll ein Konzept vorliegen

Bis zu 15 verschiedene Muttersprachen haben die SchülerInnen an 73 Schulen im Land Bremen, an 32 Schulen sind es mehr als 15.

■ An Bremens Schulen sind die Muttersprachen Türkisch, Arabisch und Kurdisch weiter verbreitet als in Bremerhaven.

■ Ein Drittel der migrantischen SchülerInnen hat dort die Muttersprache Russisch, doppelt so viele wie in Bremen.

■ Fast die Hälfte der migrantischen SchülerInnen machte den Realschulabschluss, 8,6 Prozent verließen die Schule ohne jeglichen Abschluss.

Einen „Entwicklungsplan Migration und Bildung“ hat das Bremer Bildungsressort in Auftrag gegeben. Der soll die Bildungschancen von SchülerInnen mit Migrationshintergrund verbessern. Beteiligt ist an dem Projekt ein Sachverständigenrat aus Bildungs- und MigrationsexpertInnen, darunter Yasemin Karakasoglu, Professorin für Interkulturelle Bildung an der Bremer Universität.

Alle Fördermaßnahmen von der Grundschule bis zum Übergang in den Beruf sollen im Zuge des Projektes geprüft, systematisiert und – bei Erfolg – flächendeckend eingeführt werden, erklärte Bildungssenatorin Renate Jürgens-Pieper (SPD) bei der Vorstellung gestern. „Wir haben ein zu großes Potenzial an jungen Menschen, das wir nicht ausschöpfen“, sagte sie.

Wie dieses Potenzial aussieht, hat ihr Ressort ermittelt: An 45 von 177 öffentlichen Schulen in Bremen hat mehr als die Hälfte der Kinder eine andere Muttersprache als Deutsch, an 33 Schulen ist es mehr als jedes dritte Kind. Und der Anteil steigt: 54 Prozent der heute Drei- bis Sechsjährigen haben Migrationshintergrund, 53 Prozent sind es bei den Unter-Dreijährigen. Doch 2009 haben nur 18,7 Prozent der AbsolventInnen mit Migrationshintergrund die Schule mit dem Abitur abgeschlossen – bei den SchülerInnen ohne Migrationshintergrund waren es 38,2 Prozent.

Um bessere Bildungschancen zu schaffen, sei eine „generelle Umorientierung der Schulen“ nötig, erklärte Karakasoglu gestern. Einzelprojekte müssten zu einem „stimmigen Gesamtkonzept“ verbunden werden. Zudem müsste die Realität an den Schulen stärker anerkannt werden: Kulturelle Vielfalt müsse zum Leitbild der Bremer Schulen werden. Denn: „Schüler mit Migrationshintergrund sind keine Einzelgruppe, in Großstädten machen sie oft die Mehrzahl aus.“ Heterogenität – nicht nur in Bezug auf Migration, sondern auch auf soziale Lagen und Behinderung – sollte an den Schulen stärker als Chance, denn als Belastung betrachtet werden. Auch von Seiten der LehrerInnen. „Genauso wie Lehrer Schüler nicht auf ihr Geschlecht festlegen sollten, ist es mit der Herkunftsnationalität“, sagte Karakasoglu.

Bis Anfang 2011 soll ein Konzept vorliegen. Bremen wäre laut Jürgens-Pieper dann das erste Bundesland mit einem „vollständigen Entwicklungsplan zu Bildung und Migration“. Der müsse aber mehr sein als eine „bloße Absichtserklärung“, betonte Karakasoglu. „Die bringen uns nicht weiter, wir brauchen klar formulierte Ziele.“ THA