„Wir liefern Scheingenauigkeit“

KRITIK Die Klimaforscher sollten den ökonomischen Nutzen des Klimaschutzes in den Vordergrund und unsere Konsummuster zur Debatte stellen, sagt IPCC-Autorin Edeltraud Günther

■ (48) ist Professorin für Betriebswirtschaftslehre und Betriebliche Umweltökonomie an der Technischen Universität Dresden.

taz: Frau Günther, warum kritisieren Sie als IPCC-Autorin die Berechnungen des Klimarats?

Edeltraut Günther: So wie die Diskussion bisher geführt wird, führt sie nicht zum Ziel. Wir liefern der Politik und den Unternehmen Scheingenauigkeit mit ökonomischen Analysen bis 2050 oder 2100 – dabei können wir die komplexen Vorgänge einer Weltwirtschaft im Klimawandel nicht wirklich darstellen.

Sie sagen, bisher werden dabei nur die Kosten kommuniziert. Was heißt das?

Wir reden immer nur von den Kosten des Klimaschutzes oder der Energiewende. Und nicht vom Nutzen, den wir und vor allem nachfolgende Generationen dadurch haben werden. Diese Kritik geht übrigens auch an die Medien. Unser Berechnungssystem ist falsch: Wir bewerten zukünftige Klimaschäden geringer als heutige, weil sie noch lange auf sich warten lassen, und bewerten unsere Gewinne in der Gegenwart zu hoch. Wir gehen viel zu sehr von unserem jetzigen Lebensstil aus und verlängern ihn in die Zukunft, obwohl wir wissen, dass er nicht auf Dauer für alle gelten kann.

Was müsste sich ändern?

Wir müssen unsere Sichtweise umdrehen. Die Modelle und die Daten sind nicht per se schlecht. Wir müssen uns aber zuerst überlegen, zu welchem Ziel wir gelangen wollen, und dann können wir die Modelle nutzen und sagen: Mit dieser Maßnahme erreiche ich das, mit jener dieses.

Sie meinen, das IPCC müsste zielorientiert arbeiten: Wir wollen nur zwei Grad mehr, wie können wir das erreichen?

Genau, dann müssen wir anfangen, unsere Lebensstile zu hinterfragen. Das traut sich Politik häufig nicht, sie denkt nur in Legislaturperioden. Im Englischen nennt man das NIMTOF: Not in my term of office, nicht während meiner Amtszeit. An die Debatte, ob man den Deutschen ihr eigenes Auto wegnehmen kann, traut sich kein Politiker.

Sie plädieren für Prognosen über kurze oder mittelfristige Dauer. Aber Politik und Wirtschaft brauchen Planungssicherheit für 30 oder 40 Jahre …

Ich bin viel in Unternehmen unterwegs, deren Planungshorizonte sind deutlich kürzer. Ich habe gelernt: Manager denken maximal so lange, wie sie selbst in der Verantwortung sind. Im Familienunternehmen geht das noch bis zur Übergabe an Sohn oder Tochter. Aber börsennotierte Unternehmen denken bei der Vergütung ihrer Manager nur ein bis zwei Jahre voraus. Wir müssen unsere kurzfristigen Prognosen durch mehrere langfristige Szenarien ersetzen, also Bilder einer möglichen Zukunft, die wir erreichen wollen.

Sie fordern, wir sollten Klimaschutz nicht aus ökonomischen, sondern aus moralischen Gründen betreiben. Was meinen Sie damit?

■ IPCC: Der Intergovernmental Panel on Climate Change der UN, hier meist Klimarat genannt, debattiert vom 7. bis 12. April in Berlin den Bericht seiner Arbeitsgruppe III zum „Klimaschutz“. Dafür haben Hunderte Autoren über Jahre das Fachwissen zu Emissionstrends, Energieverbrauch und Maßnahmen zum Klimaschutz zusammengetragen. Eine 29-seitige „Zusammenfassung für Entscheidungsträger“ wird in dieser letzten Runde Wort für Wort mit Vertretern der Regierungen der UN-Staaten abgestimmt. Danach ist sie für alle Beteiligten verbindlich.

■ Assessment Reports: Etwa alle sieben Jahre veröffentlicht die UN das verfügbare Wissen über den Klimawandel, seine Auswirkungen und Gegenmaßnahmen. Derzeit erstellt das IPCC seinen „5. Sachstandsbericht“. Bisher hat die Arbeitsgruppe I die naturwissenschaftlichen Grundlagen und die AG II die Auswirkungen auf Mensch und Natur untersucht.

■ Erkenntnisse: Die Berichte bestätigten mit vielen neuen Daten: Der Klimawandel ist real, schreitet schnell voran und ist hauptsächlich von Menschen gemacht. Ungebremst führt er zu einem steigenden Meeresspiegel, Dürren, Überschwemmungen, Missernten, Ausbreitung von Krankheiten und Bedrohung von Tieren, Pflanzen und Menschen in bisher unbekanntem Ausmaß.

■ Ausblick: Im Herbst folgt ein Synthesebericht der drei Arbeitsgruppen. (bpo)

Es ist nicht der richtige Weg und auch wirtschaftlicher Unsinn, bis zum Ende Gewinne zu machen und dabei die Erde unbewohnbar zu machen. Zum Bruttoinlandsprodukt tragen ja sowohl die Schäden als auch ihre Beseitigung bei. Aber wenn Unternehmen ökonomisch erfolgreich sind und dafür ganze Regionen unbewohnbar werden, dann ist das der falsche Weg. Ich bin Betriebswirtin, Gewinnorientierung gehört ursächlich zu einem sinnvollen Wirtschaften. Aber unser Planet hat oberste Priorität. Wir brauchen ihn, um hier leben und wirtschaften zu können. Ohne Naturkapital kann ich keine Gewinne erwirtschaften. Wir haben nur eine Erde.

Wie muss sich der IPCC ändern?

Wir müssen noch offensiver vorgehen, den ökonomischen Nutzen des Klimaschutzes in den Vordergrund stellen, unsere Lebensstile und Konsummuster zur Debatte stellen – und dann überlegen, wie wir das Wählern und Konsumenten kommunizieren. Die Zeit läuft uns davon. Wir sind viel zu vorsichtig und zu passiv. INTERVIEW BERNHARD PÖTTER