: Arbeit am Mythos
AUSWÄRTIGES AMT Über die Zählebigkeit der Legende von den ehrbaren Diplomaten
CHRISTOPHER BROWNING, 1979
VON CHRISTIAN SEMLER
Wie konnte es geschehen, dass sich das Auswärtige Amt in den Jahrzehnten nach seiner Neugründung 1951 so erfolgreich dagegen wehren konnte, die Mittäterschaft vieler seiner Beamter am Mord an den Juden zuzugestehen und öffentlich zu machen?
Die Legende von den sauberen Händen der deutschen Wehrmacht brach in den frühen Neunzigerjahren zusammen, als die Ausstellung des Hamburger Instituts für Sozialforschung die bereits bekannten Fakten über die Beteiligung der Wehrmacht an Kriegsverbrechen und am Holocaust der Öffentlichkeit zugänglich machte. Der Ruf des Auswärtigen Amtes als integrer Institution jedoch blieb unbescholten, obwohl die Nazivergangenheit vieler Diplomaten seit den Fünfzigerjahren immer wieder Gegenstand heftiger Auseinandersetzungen geworden war.
Als 1987 Hans-Jürgen Döscher in seiner Studie die Namen vieler inkriminierter Beamter des „Amtes“ nannte, wurde sogar zur national-konservativen Gegenoffensive geblasen. Bei der publikumswirksamen Attacke unter der Führung von Marion Gräfin Dönhoff und des Politikwissenschaftlers Theodor Eschenburg ging es vor allem darum, den ehemaligen Staatssekretär Ernst von Weizsäcker reinzuwaschen, ihn als Widerstandskämpfer zu porträtieren, der mutig in seinem Amt ausgeharrt habe, um – freilich vergeblich – das Schlimmste zu verhindern. Weizsäcker war in einem der Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse verurteilt worden und es war die Strategie seiner Verteidigung, an der sich die spätere Rechtfertigungsideologie des Auswärtigen Amtes orientierte.
Die soeben erschienene Studie „Das Amt und die Vergangenheit“ nimmt in ihrem von Werner Conze und Norbert Frei verfassten zweiten Teil die Konstruktion dieses Mythos vom ehrbaren Diplomaten auseinander. Kernelement dieses Mythos ist nach Conze und Frei das Selbstbild des unpolitischen Staatsdieners, der dem Regime von Anfang an mit innerer Distanz und Ablehnung gegenübergestanden hat. Das „Deutschland“- bzw. „Judenreferat“ des Ministeriums sei ein Nazinest und ein möglichst gemiedener Fremdkörper geblieben. Erlasse zur Judendeportation hätten unterzeichnet werden müssen, um im Amt weiter Widerstand leisten zu können.
Zum Kronzeugen des Widerstands wurde Adam von Trott zu Solz aufgerufen, der hingerichtete Verschwörer des 20. Juli, eigentlich kein Karrierediplomat und Quereinsteiger ohne innere Beziehung zum Amt. Er soll einem Bericht zufolge, den der Diplomat Wilhelm Melches nach 1945 schrieb, diesem gesagt haben, „der Kern des Amtes mit seinen eigentlich wichtigen Aufgabenbereichen ist gesund“. Dieser Satz wurde zum Bindeglied zwischen den Beamten des Auswärtigen Amts und den Widerständlern des 20. Juli. Er diente dazu, ihr Selbstbild als Hitlergegner gegenüber jeder Kritik abzudichten.
Die Diplomaten der „Wilhelmstraße“ hatten als Nationalkonservative in der Regel antisemitische Vorurteile, waren aber keine rabiaten Judenhasser. Der Eifer, mit dem sie nach Kriegsbeginn beim Mord an den Juden „dem Führer entgegenarbeiteten“, war Produkt ihres bedenkenlosen Karrierismus. „Die Gefügigkeit dieser Männer bei der Umsetzung der Judenpolitik war berechnend, nicht fanatisch“, wie der Historiker Christopher Browning in seiner Studie über das Deutschlandreferat des Auswärtigen Amts schon 1979 schrieb.
Conze und Frei zeichnen nach, wie die Rekrutierungspolitik des Amts nach 1951 gerade auf der Ideologie des angeblich unpolitischen Sachverstands und der zuverlässigen Pflichterfüllung der „Ehemaligen“ basierte. Konrad Adenauer hätte es eigentlich lieber gesehen, wenn „der Dienst“ hauptsächlich mit unbelastetem Personal aufgebaut worden wäre. Für ihn war aber entscheidend, dass die NS-Diplomaten seine Politik der Westbindung ohne Murren akzeptierten. Schließlich war ihnen das Feindbild kommunistische Bedrohung von jeher vertraut.
Conze und Frei sprechen von der zögernden Haltung, die Willy Brandt als Außenminister der großen Koalition bei der Behandlung selbst schwer aus der Nazi-Zeit belasteter Beamter eingenommen habe. Die beiden Historiker vertreten die Meinung, Brandt sei generell ein Gegner der NS-Strafverfolgung gewesen. Inwieweit hier taktische Motive am Werk waren, um den Anfang der Ostpolitik nicht zusätzlich durch Opposition innerhalb des Amts zu erschweren, wäre noch herauszufinden.
Mit dem Mythos von der Unschuld des „Amtes“ aber haben erst Außenminister Joschka Fischer und die unabhängige Historikerkommission aufgeräumt.