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Archiv-Artikel

Nach dem Streit ist vor dem Streit

Die Union feiert den Zusatzbeitrag der Krankenkassen als Sieg, denn er sei eine Vorstufe der Kopfpauschale. Die SPD widerspricht und warnt vor neuen Konflikten

BERLIN taz/ap/dpa ■ Bürgerversicherung oder Kopfpauschale – die unterschiedlichen Vorstellungen zwischen Union und SPD taugen trotz Einigung über die Gesundheitsreform wieder als Konfliktthema. Thüringens Ministerpräsident Dieter Althaus kündigt heute in der Leipziger Volkszeitung an, die Kopfpauschale zum Wahlkampfthema 2009 zu machen: Die Gesundheitsreform sei gute Voraussetzung, „die Gesundheitsprämie einzuführen“, sagt Althaus.

Eine solche Prämie hatte die Union bereits 2005 zum Bundestagswahlthema gemacht. Jeder, unabhängig von seinem Einkommen, müsste danach einen einheitlichen Betrag für Gesundheit bezahlen. Dem entgegen steht die Bürgerversicherung der SPD, die das bestehende System „Je höher das Einkommen, desto höher der Beitrag“ auf alle Bürger ausweiten würde.

Derzeit versuchen SPD und Union gute Ausgangsbedingungen für ihre widerstreitenden Konzepte zu schaffen und streiten, wie die vereinbarte Überforderungsregel für Zusatzbeträge auszulegen sei. Diese Extraprämien können Kassen ab 2009 von ihren Mitgliedern erheben, wenn sie mit den zugewiesenen Mitteln nicht auskommen.

Die Union geht davon aus, dass jede Kasse ohne Einkommensprüfung von jedem 8 Euro verlangen kann. Dies sei Konsens innerhalb der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, sagte eine Sprecherin. CSU-Landesgruppenchef Peter Ramsauer hatte geäußert, auch wer weniger als 800 Euro verdiene, müsse die 8 Euro zahlen.

Dagegen besteht die SPD auf einer Obergrenze von 1 Prozent des Einkommens. 8 Euro müssten Geringverdiener nur in Ausnahmefällen zahlen, nämlich dann, wenn ihre Kasse exakt diesen Betrag fordert. Sind 9 Euro Zusatzprämie fällig, dann gilt die 1-Prozent-Begrenzung, das heißt, ein Hartz-IV-Empfänger mit 400 Euro Einkommen müsste nur 4 Euro zahlen. Diese Interpretation und nichts anderes sei in den Verhandlungen in der vergangenen Woche ausgemacht worden, sagt SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach. Er bezeichnete den Vorstoß des CSU-Landesgruppenchefs als dreist: „Die Union versucht verzweifelt etwas herauszuholen, was ihr vorher nicht gelungen ist, und will mit Tricksereien die Kopfpauschale einführen.“ Die Sprengkraft der Zusatzbeiträge sei groß. Sollte die Union ihr Ziel in Nachverhandlungen doch erreichen, sieht Lauterbach das Gesetzesvorhaben bedroht. „Innerhalb der SPD wäre mit breiter Ablehnung zu rechnen.“

Der Gesundheitsexperte Eckart Fiedler, der für die SPD als Gutachter fungiert, sagte der taz, die 1-Prozent-Regel sei in jedem Fall nicht sachgerecht umgesetzt worden. Vor einem Sockelbetrag von 8 Euro warnte er. „Ich sehe die Gefahr, dass die Zusatzbeträge immer weiter steigen.“

Das Gezänk innerhalb und zwischen den Parteien versuchten die Koalitionsspitzen am Wochenende mit Ruhe-Rufen zu beschwichtigen. Bundeskanzlerin Angela Merkel verlangte von SPD-Chef Kurt Beck in der Bild am Sonntag, in der Koalition für Ruhe zu sorgen und SPD-Fraktionschef Peter Struck mit seinen „unaufhörlichen Angriffen auf die Ministerpräsidenten der Union“ ruhigzustellen. Beck dagegen forderte Merkel ihrerseits auf, sich in ihrer Fraktion durchzusetzen. Er prophezeite in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung Führungskämpfe innerhalb der Union.

CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla teilte mit, die Union sei geschlossen. CSU-Chef Edmund Stoiber wandte sich vor der Jungen Union Bayerns gegen Vorwürfe, er sei bei dem Streit um die Gesundheitsreform der „Störenfried“ gewesen. „Ich vertrete diesen politischen Kompromiss, weil er uns weiter führt als das, was wir heute haben.“ ANNA LEHMANN