: Das beste Pferd macht Mist
Korruption in Deutschland: Meist sind es gut situierte, selten vorbestrafte Männer, die ihre Macht für dunkle Geschäfte missbrauchen. Ermittler sind zu oft auf Kommissar Zufall angewiesen. Eine Tagung
von KAI SCHÖNEBERG
Manchmal helfen auch die Frauen. „Paul, du hast da doch was bekommen“, sagt die gehörnte Gattin vor dem Scheidungsrichter – und schon haben die Ermittler einen Anhaltspunkt, um gegen einen bestechlichen Angestellten vorzugehen. Das erzählt VW-Revisor Norbert Gundlach bei einer Tagung über Korruption, die die Industrie und Handelskammern in der vergangenen Woche in Hannover veranstalteten.
Gundlach referiert über unzufriedene Mitarbeiter, die sich fragen, warum der Lieferant einen dicken Mercedes fährt und sie nicht. Zum Skandal, der Europas größten Autobauer im vergangenen Jahr erschütterte, will er aber nichts sagen, weil die Ermittlungen noch laufen. Immerhin: VW hat im Januar einen externen Ombudsmann für Korruption berufen. Kein Unternehmen will gerne mit mafiösen Strukturen in Verbindung gebracht werden. Es ist ein Phänomen im Dunklen.
„Das Erschreckende ist: Unser Gegner sieht genauso aus wie wir“, sagt Staatsanwalt Clemens Eimterbäumer aus Hannover. Es sind meist gut situierte, selten vorbestrafte Männer, meist Deutsche. Und oft Aufsteiger, die auf dem zweiten Bildungsweg Karriere gemacht haben. „Sie haben ein Jahresabo für die Oper, fahren einen BMW-Kombi“, sagt der Staatsanwalt.
Selten sind sie sich ihrer Schuld bewusst: so wie der Bauamtsmitarbeiter, der Landwirte – und sich selbst – durch das Ausweisen von Bauflächen zu Millionären machte. Den Tipp an die Betroffenen rechtfertigte er vor Gericht als „bürgernahe Beratung außerhalb der Dienstzeit“.
Häufig sind gerade die Leistungsträger in Ämtern und Unternehmen in Korruptionsfälle verwickelt. Wer nichts zu sagen hat, braucht auch nicht bestochen zu werden. Der von seinen Vorgesetzten hochgelobte Oberamtsrat aus dem niedersächsischen Kultusministerium dagegen konnte einem Versicherungsvertreter einen Gewinn von rund 125.000 Euro verschaffen. Zehn Jahre lang hatte er ihm die Adressen von frisch eingestellten Lehrern verkauft. Der Beamte bekam für die Weitergabe von insgesamt 13.000 Adressen 10.000 Euro Schmiergeld. „Man kann sagen, er hat sich billig verkauft“, meint Eimterbäumer.
Offizielle Zahlen gibt es nicht. Auf einer Befragung von 12.000 Führungskräften basiert ein vor kurzem von der Antikorruptionsinitiative Transparency International veröffentlichtes Ranking über Bestechung in 30 Industrienationen. Danach rangiert Deutschland auf Platz 7 der am wenigsten korruptesten Industrienationen der Welt. Vorne liegen die Schweiz und Schweden, hinten Indien und China.
„Sehr erstaunlich“ findet Elisabeth Heister-Neumann dennoch, dass die chinesischen Schriftzeichen für Deutschland „Tugendland“ bedeuten. Für Niedersachsens CDU-Justizministerin sind die hiesigen Korruptionsermittler noch zu oft auf Kommissar Zufall angewiesen. Weil Insider sich zu selten trauen, vertrauliche Informationen preis zu geben, forderte sie eine Kronzeugenregelung, die die Souffleure schützt. Immerhin hat allein die Schwerpunktstaatsanwaltschaft gegen Korruption seit Anfang 2005 in Hannover 147 neue Verfahren gegen 307 Beschuldigte eingeleitet und 2,27 Millionen Euro abgeschöpft, Tendenz steigend.
Die Experten sprechen von „Hol-Kriminalität“. Das heißt: Je mehr Ermittler, desto mehr Fälle. Auch in Verden dürfte künftig die Zahl der Fälle steigen, weil dort im Sommer eine weitere Schwerpunktstaatsanwaltschaft eingerichtet wurde.
„Wenn es bei 10.000 Mitarbeitern im Unternehmen über zehn Jahre lang keinen Fall gab, muss die Kontrolle ein Desaster sein“, sagt Steffen Salvenmoser von der Unternehmensberatung PriceWaterhouseCoopers. Immerhin habe die Diskussion um die Vergabe von WM-Tickets in vielen Unternehmen das Bewusstsein für möglicherweise korrupte Strukturen geschärft.
Die Ermittler stehen immer vor den gleichen Problemen: Wo kein Kläger, da kein Richter. Selbst die um ihre Kunden geprellten Konkurrenz-Versicherungen merkten im Fall des geschmierten Beamten nichts. Es gibt zudem keine objektiven Spuren, keinen echten Tatort, „keinen Schusskanal“, sagt Eimterbäumer. Schwierigkeiten machen den Ermittlern auch die Chefs, die sich häufig Korruption bei ihren „besten Pferden im Stall“ gar nicht vorstellen können: „Ich ruf den gleich mal an, dann können wir den Sachverhalt gemeinsam klären“, lautet eine häufige Reaktion.