Ein Beben der Stärke 4,2

Russische Messstationen bestätigen den ersten Atomwaffentest Nordkoreas. Südkorea befürchtet eine Wiederholung

Washington bestätigte zunächst lediglichein „seismisches Ereignis“

aus Tokio MARCO KAUFFMANN

Vor einer Woche hatte Nordkorea einen ersten Atomwaffentest angekündigt, gestern meldete die amtliche Nachrichtenagentur KCNA seinen Vollzug: Der Test sei mit „einheimischer Weisheit und Technologie 100-prozentig erfolgreich durchgeführt worden“. Nach Darstellung von KCNA trat keine Radioaktivität aus. Über den Ort und Zeitpunkt des Atomwaffentests machten die staatlich kontrollierten Medien keine Angaben. Nach Einschätzung von Südkoreas Geheimdienst wurde er in einem horizontal angelegten Schacht in einem Hügel nahe der Raketenbasis Musudan in der nordöstlichen Küstenprovinz Hamgjong durchgeführt.

Laut südkoreanischen Angaben bereitet Nordkorea möglicherweise einen weiteren Atomwaffentest vor. Auf einem mutmaßlichen Testgelände im Nordosten des Nachbarlandes seien verdächtige Personen- und Fahrzeugbewegungen entdeckt worden, die Teil entsprechender Vorbereitungen sein könnten, zitierte die nationale Nachrichtenagentur Yonhab Südkoreas Geheimdienstchef Kim Seung Kyu.

Russische Messstationen hatten am Montagmorgen in der nordkoreanischen Provinz Hamgjong um 10.35 Uhr (Ortszeit) eine Erderschütterung registriert. Experten in Seoul schätzten die Sprengkraft auf 550 Tonnen TNT, das wären rund 20-mal weniger als die auf Hiroschima abgeworfene Atombombe besaß. Das US-Amt für geologische Beobachtungen in Colorado gab bekannt, zum Zeitpunkt des von Nordkorea gemeldeten Atomtests habe die Erde mit der Stärke 4,2 gebebt. Ob es sich tatsächlich um einen unterirdischen Atombombentest gehandelt habe, müsse verifiziert werden. Keine Zweifel hat Russland, das an Nordkorea angrenzt: Generalleutnant Wladimir Werchowzew erklärte gegenüber der Nachrichtenagentur Itar-Tass: „Es ist zu hundert Prozent sicher, dass es eine unterirdische Atomexplosion war.“ Russische Überwachungssysteme hätten den Vorgang entdeckt. Die mögliche Stärke wurde in Russland mit 5.000 bis 15.000 Tonnen TNT weit höher eingeschätzt als in Südkorea. Die Regierung in Washington bestätigte zunächst lediglich ein „seismisches Ereignis“. Derweil spekulierten US-Geheimdienste, der Test sei für Nordkorea enttäuschend verlaufen. Es habe sich mehr um ein „Zischen als um einen Knall“ gehandelt.

Nordkorea begann in den 1960er-Jahren ein Nuklearprogramm. Damals errichtete die Regierung mit sowjetischer Hilfe ein Atomforschungszentrum in Jongbjon, rund 100 Kilometer nördlich der Hauptstadt Pjöngjang. Nur mit einer Atombombe, so die Überzeugung von Staatsgründer Kim Il Sung, könne ein dermaßen verheerendes Bombardement, wie es Nordkorea im Koreakrieg (1950–1953) widerfahren sei, verhindert werden. Mit russischer Technologie entstand in Jongbjon in den 1970er-Jahren ein zweiter Atomversuchsreaktor, der 1987 angefahren wurde. Allmählich hegte die Sowjetunion Zweifel an den friedlichen Absichten Nordkoreas und drängte es zur Zusammenarbeit mit der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA.

In die Bresche sprang dafür der „Vater der pakistanischen A-Bombe“, A. Q. Kahn. Er räumte ein, er und weitere pakistanische Atomforscher hätten Nordkorea mit Technologie und Knowhow zum Bau einer Atombombe versorgt. Pjöngjang entschädigte diese Hilfe mit Raketen aus eigener Produktion.

Im Jahr 1994 eskalierte der Streit um das Atomprogramm, als nordkoreanische Forscher Brennstäbe aus dem Versuchsreaktor in Jongbjon entfernten. Die USA erwogen eine Bombardierung der Anlage. Ein halbes Jahr lang wurde die Krise am Verhandlungstisch in Genf entschärft und Nordkorea verpflichtete sich in einem Rahmenabkommen mit den USA, den militärischen Teil des Atomprogramms einzufrieren. Im Gegenzug sagte Amerika die Lieferung von Leichtwasserreaktoren und Erdöl zu.

Der Schock war groß, als Nordkorea 2002 zugab, man arbeite weiter an einem Atomwaffenprogramm. Pjöngjang wies die Inspektoren der Internationalen Atomenergiebehörde aus und kündigte im Januar 2003 als erstes Land einseitig den Atomwaffensperrvertrag. Die seither angesetzten Sechsergespräche zwischen Nordkorea, den USA, China, Südkorea, Japan und Russland verliefen ohne Ergebnis.

Vermutet wird, dass Nordkorea Plutonium für mindestens sechs Atombomben hat. Als ausgereift beurteilen Militärexperten die Kurz- und Mittelstreckenraketen Nordkoreas. Hingegen wurde der Test mit einer Langstreckenrakete im Juli von Beobachtern als Fehlschlag interpretiert. Zudem dürfte das Land technisch noch nicht in der Lage sein, einen genügend kleinen Atomsprengsatz zu bauen, um damit ein Trägersystem zu bestücken. Nordkorea könnte theoretisch Atombomben aus Flugzeugen abwerfen. Japanische Analysten halten dies aber für schwierig, da Nordkoreas Bomber veraltet seien.