: Rentenstreichung abgewehrt
CONTERGAN Ein Geschädigter verlangt mehr Rente. Daraufhin sollte ihm diese ganz gestrichen werden
ANDREAS MEYER, BUND CONTERGANGESCHÄDIGTER UND GRÜNENTHALOPFER
KÖLN taz | Olaf Truxer steht neben Saal 1 im Verwaltungsgericht Köln und stützt sich auf seinen Rollator. Mühsam unterdrückt der 49-Jährige die Tränen. „Ich bin total erleichtert“, sagt er. Die Conterganstiftung wird seine Rente nicht streichen. Seit drei Jahren kann Truxer aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr arbeiten. Ohne die monatlich 1.600 Euro von der Stiftung wäre er völlig mittellos.
Kurz nach zehn Uhr hat am Dienstag vor dem Verwaltungsgericht Köln das Verfahren gegen die Conterganstiftung begonnen. Truxer hatte bei der Stiftung den Antrag gestellt, dass auch sein taubes linkes Ohr als Conterganschaden anerkannt wird. Doch statt mehr zu zahlen, widerrief die Contergan-Stiftung die vor über 30 Jahren zugesagte lebenslange Rente. Die Begründung: Es gebe neue medizinische Erkenntnisse, nach denen seine Behinderungen nicht auf Contergan zurückzuführen seien.
Seit November 1962 wird Contergan nicht mehr vertrieben. Das Mittel führt zu schweren Fehlbildungen, wenn Frauen es in der Schwangerschaft einnehmen. Truxer ist im Juni 1964 geboren. Er kam mit Fehlbildungen an Händen und Füßen zur Welt. Auch seine Hüfte und der Rücken sind beeinträchtigt. „Der Hausarzt hat meiner Mutter Contergan gegeben, als sie mit mir schwanger war“, sagt Truxer. Doch 1974 kam ein Gutachter auch wegen seines Geburtszeitpunkts zu dem Schluss, dass die Fehlbildungen nicht auf Contergan zurückzuführen seien. Aber Jahre später hielt ein anderer Experte das durchaus für möglich.
Im Zweifel für den Betroffenen, entschied die Conterganstiftung und sprach Truxer 1981 eine lebenslange Rente zu. Die Stiftung ist für die Entschädigung der Conterganopfer zuständig. Doch nachdem Truxer beantragt hatte, sein taubes linkes Ohr als Schaden anzuerkennen, kassierte sie 2011 den Rentenbescheid mit Hinweis auf zwei neue Gutachten.
Truxer klagte, die Rente wurde unter Vorbehalt weitergezahlt. Seine Klage hätte voraussichtlich Erfolg gehabt, machte Richter Andreas Fleischesser bei der Verhandlung klar. Denn es gebe keine neuen Fakten. „Heute ist man nur anderer Meinung. Aber eine andere Meinung ist keine andere Tatsache“, sagte er. Zweifel habe es auch schon vor 30 Jahren gegeben. Die Conterganstiftung zog die Aberkennung der Rente daraufhin zurück.
Auch wenn sich Truxer erfolgreich gewehrt hat, bleibt bei Menschen mit conterganbedingtem Handicap eine extreme Verunsicherung, ist Andreas Meyer vom Bund Contergangeschädigter und Grünenthalopfer überzeugt. Grünenthal ist die Firma, die Contergan hergestellt hat. „Die Leute sind eingeschüchtert“, sagt Meyer. Die Gesundheit vieler Conterganbetroffener verschlechtert sich dramatisch. Sie haben mit weitaus gravierenderen Verschleißerscheinungen etwa der Gelenke zu kämpfen als andere AltersgenossInnen. Meyer fürchtet, dass Contergangeschädigte aus Angst vor dem Verlust ihrer Rente keine Anträge auf Aufstockung mehr stellen.
Niemand brauche diese Angst zu haben, betonte Gertrud Richartz von der Conterganstiftung am Dienstag. Bei Truxer habe es sich um einen Einzelfall gehandelt. „Der Vorstand der Stiftung wird sich an die Betroffenen wenden, um ihre Ängste zu zerstreuen“, kündigte Richartz an. ANJA KRÜGER