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Archiv-Artikel

Favorit von Birthler

Ein früherer DDR-Bürgerrechtler wird wahrscheinlich neuer Bundesbeauftragter für die Stasi-Unterlagen. Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU) will wohl den ehemaligen taz-Korrespondent Roland Jahn zum Nachfolger der im März 2011 aus dem Amt scheidenden Marianne Birthler vorschlagen. Der 57-Jährige gilt auch als Birthler-Favorit.

Der gebürtige Jenaer avancierte in den siebziger und frühen achtziger Jahren zu einem der führenden Köpfe der renitenten Akademikerszene in Jena. Nach dem Grundwehrdienst studierte er 1975 Wirtschaftswissenschaften. Zwei Jahre später wurde er nach Protesten gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns jedoch zwangsweise exmatrikuliert. Zwangsweise wurde er auch im Juni 1983 aus der DDR abgeschoben, aus dem Land, das er positiv verändern und nicht verlassen wollte.

Vorausgegangen waren spektakuläre Aktionen. Zu einem Aufmarsch am 1. Mai erschien er mit einem weißen Plakat, das die Meinungsfreiheit auf intelligente Weise einforderte. Ähnlich bekannt wurden seine Postkarten, die ihn halbseitig als Hitler und als Stalin geschminkt zeigten. Nach einer Solidaritätsaktion zugunsten der polnischen Solidarnosc-Bewegung wird Jahn 1982 verhaftet. Verurteilt zu 22 Monaten Haft, kommt er nach internationalen Protesten zunächst nach einem halben Jahr wieder frei. Doch Roland Jahn bleibt nicht passiv, gründet mit anderen die „Friedensgemeinschaft Jena“. Im Zuge einer im Mai 1983 einsetzenden Abschiebungswelle wird er erneut verhaftet und in Ketten über die Grenze gebracht. In Westberlin wird er zu einem wichtigen Kontaktmann zwischen dem Westen und der DDR-Opposition. Als Journalist klärt er über die Verhältnisse in der DDR auf, unter anderem in der taz. Dort erschien 1987 zum Honecker-Besuch in Bonn eine fiktive Ausgabe des SED-Organs Neues Deutschland unter seiner Mitarbeit. Bis heute arbeitet der mit dem Bundesverdienstkreuz Ausgezeichnete als Journalist, so beim rbb-Magazin „Kontraste“. Die Öffnung der Stasi-Akten hat er stets verteidigt. Sie böten nicht nur Einsicht in menschliche Abgründe, sondern zeigten auch mutige Verweigerung, Widerstand und mitmenschliches Verhalten. MICHAEL BARTSCH