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Archiv-Artikel

„Vom Unbekannten profitieren“

Eigentlich sollte es nur ein Abschlussfilm sein: Mit dem skurrilen Roadmovie „Import–Export“ eröffnet heute das 21. Unabhängige FilmFest in Osnabrück. Regisseurin Eren Önsöz über deutsche und türkische Geschichte, Klischees und drängende Probleme des Zusammenlebens

INTERVIEW: THORSTEN STEGEMANN

taz: Frau Önsöz, wer über das deutsch-türkische Verhältnis spricht, der redet von Gastarbeitern oder dem geplanten EU-Beitritt. Ihr Film schlägt die Brücke vom 16. Jahrhundert in die Gegenwart und Zukunft, erzählt viele Einzelschicksale und ganze Familiengeschichten. Was verändert sich durch diesen Perspektivenwechsel?

Eren Önsöz: Ich denke, da verändert sich einiges, vor allem für die Zuschauer. Der Film lenkt den Fokus von den inszenierten Negativgeschichten, die täglich durch die Medien wandern, zu den historischen Hintergründen und damit unter die Oberfläche. Für viele Menschen, die mit der Meinung gelebt haben, dass es sich bei den Gastarbeitern um einfach gestrickte Menschen handelt, die irgendwann aus dem Nichts gekommen sind, ist die Entdeckung einer jahrhundertealten kulturellen Tradition ein richtiges Aha-Erlebnis.

Waren die Beziehungen zwischen Türken und Deutschen in vergangenen Jahrhunderten tatsächlich besser als heute? Oder wenigstens entspannter?

Das würde ich schon sagen, vor allem liefert die Geschichte viele positive Beispiele, die – wenn sie denn mal in Schulbüchern und auf Lehrplänen auftauchen würden – zum Umdenken zwingen. Hierzulande weiß doch kaum jemand, dass die Türkei während des „Dritten Reiches“ über tausend deutsche Emigranten aufgenommen und vielen verfolgten Wissenschaftlern Arbeit und eine neue Heimat gegeben hat.

Ihr Film beginnt mit der Behauptung, der Döner sei in Deutschland mittlerweile anerkannt, der Türke „an sich“ aber noch längst nicht. Ist diese Einschätzung nicht doch etwas übertrieben?

Natürlich ist das eine satirische Überspitzung, aber sie enthält einen Kern Wahrheit. Gehen Sie doch mal in einen Döner-Laden und schauen Sie sich an, wie die Leute mit dem Verkäufer umgehen. Ich habe als Kind immer gedacht, an dieser Situation würde sich bald etwas ändern – heute glaube ich das nicht mehr.

Sie wurden in der Türkei geboren, haben in Düsseldorf und Rom studiert und leben heute in Köln. Wie sind Ihre eigenen Erfahrungen als Wanderin zwischen den Welten?

Viele Leute sehen in mir eine Art „guter Türkin“. Gegen mich haben sie nichts, aber ich bin ja auch irgendwie anders. Das ist natürlich Quatsch und hängt mit dem schwindenden Respekt gegenüber fremden Kulturen zusammen. Die Xenophobie wächst überall. Dabei kann man vom Unbekannten nur profitieren – ich jedenfalls bin gerne Weltbürgerin und könnte mir auch gar nichts anderes vorstellen.

Erleben Sie Vorurteile im Alltag, oder gelten für Künstler eine Art internationaler Sonderregeln?

Das wäre ja ganz schön, aber seit dem 11. September hat sich auch in diesem Bereich einiges geändert. Abgesehen davon, dass Türken in Deutschland für alles mitverantwortlich gemacht werden, was Türken – oder auch Kurden – in der Türkei anstellen, haben sich viele Menschen wieder ganz archaische Denk- und Verhaltensweisen zu Eigen gemacht. Moslems stehen seitdem unter Generalverdacht, dazu kommt dann noch die Hetze von rechts. Mich haben Erfahrungen wie der Brandanschlag in Mölln Anfang der 90er gezwungen, eindeutig Stellung zu beziehen. Man könnte sagen: Deutschland hat mich zur Türkin gemacht!

Drängen sich durch Ihre Herkunft und die aktuelle politische Situation bestimmte Themen auf – oder fühlen Sie sich sogar verpflichtet, als Autorin und Regisseurin zu strittigen Punkten Stellung zu nehmen?

Es macht ganz einfach Spaß und fasziniert mich unglaublich. Eigentlich ist es erschreckend, dass sich nicht noch viel mehr Künstler für diese Themen interessieren. Mich würde es jedenfalls nicht reizen, einen Film über ein banales und „buntes“ Thema zu drehen. Die Zeit drängt, und die Probleme, die wir miteinander lösen müssen, werden nicht weniger.

„Import–Export“ ist als Roadmovie konzipiert, das von Berlin nach Istanbul führt. Hatten Sie während der Dreharbeiten das Gefühl, eine Reise innerhalb Europas zu machen?

Ja, unbedingt. Diesen Eindruck hatte nicht nur ich selbst, sondern auch mein ganzes Team. Die Türkei ist wirklich ein quirliges, lebendiges, modernes Land – und in manchen Dingen viel energetischer als Deutschland. Die Medienberichterstattung vermittelt uns – wenn es sie überhaupt gibt – nur kleine Ausschnitte und konzentriert sich leider ausschließlich auf die Negativschlagzeilen, die dann in ganz großer Aufmachung gebracht werden. Wer seriös über den EU-Beitritt dieses Landes diskutieren will, sollte sich auch mal den Alltag in der Türkei anschauen.