Pornos und die „Versöhnung mit der Bürgerlichkeit“

Schriften zu Zeitschriften: „Sinn und Form“ verteidigt die Familie gegen den Feminismus, die „Neue Rundschau“ schaut derweil Hausfrauenpornos

„Es ist heutzutage einfacher, schwul zu sein als Mitglied einer klassischen Familie“: Norbert Bolz gehört zu jenen Denkern, die sich selten für eine These zu schade sind. Dass Eva Herman in dem an der Berliner TU lehrenden Medienwissenschaftler einen wackeren antifeministischen Mitstreiter gefunden hat, wird in einem im Wortsinne wahnwitzigen Interview mit ihm deutlich, abgedruckt im aktuellen Heft der Zeitschrift Sinn und Form. Muss man S.O.S. funken, wenn dieses Flaggschiff des mitteleuropäischen Geistes von einem Theoriezampano wie Bolz geentert wird?

Bolz’ „Plädoyer für eine neue Toleranz gegenüber traditionellen Lebensformen“ wäre jedenfalls heute nur in einigen Landstrichen Vorpommerns mehrheitsfähig. Neben der Pille sei die Frauenemanzipation der wichtigste Faktor „für den Zerfall der klassischen Familie“. Hausfrauen würden dagegen permanent diskriminiert. Bolz wittert neue Gefahren: „Ich beobachte, daß man Patchwork-Familien zur neuen Erziehungs- und Kulturnorm erhebt.“ Vor gründlicher Reflexion bewahrt den Reaktionär seit jedie Romantik: „Wenn uns überhaupt irgendetwas aus der Sackgasse der Selbstverwirklichung und der feministischen Emanzipation befreien kann, dann die Liebe.“ Wir müssten wieder entdecken, „was für ein wunderbares Ding uns die Biologie mit der Zweigeschlechtlichkeit gegeben hat“.

Für den „78er“ Bolz (Jahrgang 1953) bleiben die 68er die Hauptgegner: „Ich habe geradezu Abscheu entwickelt vor diesen Lebensformen“ – gemeint sind Unhöflichkeit und Kommunen. „Versöhnung mit der Bürgerlichkeit“ sei die einzige Option seiner Generation gewesen. Mit amüsanten Anekdoten aus dem wild wuchernden Gestrüpp der Siebzigerjahre präsentiert Bolz seinen Bildungsroman: „Vom Sportteil der Bildzeitung in der Pfalz bis zu Adorno, bis zur negativen Dialektik war es nur ein Schritt.“ Von der kritischen Theorie befreite er sich – nach einer adornitischen 680-Seiten-Dissertation – mit Hilfe von Walter Benjamin, Carl Schmitt und Jacob Taubes, bei dem Bolz Assistent war. Zum Impulsgeber für ihn wurde der Medientheoretiker Friedrich Kittler, der den tabuisierten Heidegger lehrte und bei einer linken Demo in Freiburg ein Transparent trug, auf dem stand: „Für Sein und Zeit“. Diesen ironischen Kommentar darf man getrost auch auf den Schnelldiagnostiker Bolz münzen.

Das Schicksal der Hausfrauen bewegt nicht nur Norbert Bolz, sondern in der aktuellen Ausgabe der im 117. Jahr existierenden Neuen Rundschau auch den amerikanischen Musikjournalisten Chuck Klosterman. „Tendenziell beunruhigend“ findet er die Tatsache, „dass wir so viele häusliche Huren haben“: gemeint ist die grassierende Hausfrauenpornografie im Internet. Dass der männliche Konsument im Zweifelsfall die Normalfrau dem Topmodel vorzieht, leuchtet ihm ein: „Die Amateurpornographie verankert uns in unserer eigenen Wirklichkeit.“ Bleibt am Schluss die klassische Frage: „Warum brauchen Frauen das nicht?“ Klostermans kaum befriedigende Antwort soll hier nicht verraten werden.

„Historischer Boden: man klebt an ihm fest.“ Durs Grünbeins metaphorische Verszeile aus dem im gleichen Heft veröffentlichten Gedicht „Museumsinsel“ passt zu den Debatten der zurückliegenden Wochen um die Bücher von Günter Grass und Joachim Fest. Zwei Generationsgenossen der beiden werden ebenfalls in dieser Ausgabe porträtiert. FAZ-Redakteur Tilman Spreckelsen würdigt den Schriftsteller Günter de Bruyn zu dessen bevorstehendem 80. Geburtstag, erinnert an dessen bedeutende Autobiografie „Zwischenbilanz“ (1992) und verweist auf den merkwürdigen Umstand, dass de Bruyn als Romancier vor Jahren verstummte, um stattdessen mit essayistischer Prosa über preußische Kulturgeschichte ein großes Publikum zu erreichen. Der andere, ebenfalls unermüdliche Alte ist der 1927 geborene Journalist Klaus Harpprecht, Autor zahlreicher Bücher, einst Verlagsleiter von S. Fischer und Redenschreiber Willy Brandts. Ihm huldigt in einer subtil-schönen Skizze der Autor Joachim Kersten. Er zitiert da- rin die Alternative, die Harpprecht selbst für sich sah: „Entweder sich seiner natürlichen Verkommenheit hinzugeben oder diese im Journalismus halbwegs zu bändigen“.

ALEXANDER CAMMANN

Sinn und Form, Heft 5/2006, 9 €, www.sinn-und-form.deNeue Rundschau, Heft 3/2006, 10 €,S. Fischer Verlag