„Man muss ein Ziel fixieren“

GESPRÄCH Alles eine Frage der Sichtbarkeit. Die türkische Regisseurin Yesim Ustaoglu über Rollenerwartungen, Unbeirrbarkeit und ihren Film „Araf – Somewhere in Between“

■ geb. 1960, ist eigentlich Architektin. Ihren ersten Langfilm, den Thriller „Iz“, drehte sie 1994, 1999 folgte der viel beachtete Spielfilm „Reise zur Sonne“. 2003 wird die Firma Ustaoglu Film gegründet (www.ustaoglufilm.com), die unter anderem das erfolgreiche Familiendrama „Pandora’s Box“ (2008) produziert hat.

INTERVIEW ISABELLA REICHER

An einer einsamen Raststation kommen sie zusammen: die 18-jährige Zehra und der gleichaltrige Olgun, die dort in langen Schichten arbeiten, und der Lkw-Fahrer Mahur. In „Araf – Somewhere in Between“, dem fünften, 2012 veröffentlichten Spielfilm der türkischen Regisseurin Yesim Ustaoglu, entspinnt sich zwischen diesen drei Menschen, ihrem harten Arbeitsalltag und ihren unerfüllten Wünschen und Sehnsüchten ein dichtes Drama. Bevor er Ende Mai ins Kino kommt, ist er schon jetzt zu sehen, im Rahmen des Internationalen Frauenfilmfestivals, das zurzeit in Köln stattfindet.

taz: Frau Ustaoglu, wie ist die Idee zu „Araf“ entstanden?

Yesim Ustaoglu: „Araf“ bedeutet „dazwischen“, aber auch so etwas wie Fegefeuer. Während der Dreharbeiten zu „Pandora’s Box“ musste ich zwischen den Schauplätzen lange Fahrten zurücklegen und habe oft an solchen Raststationen Pause gemacht. Das waren intensive Erfahrungen, sobald ich genauer beobachtet habe, wie die Menschen dort arbeiten. Ich habe versucht, mit ihnen ins Gespräch zu kommen und herauszufinden, wovon sie träumen, was ihre Zukunftsperspektiven sind, wie es ist, 24-Stunden-Schichten zu arbeiten, welche Art von Leben auf sie wartet. Denn sie sind eigentlich immer in einer Position des Wartens. So hat die Geschichte des Films begonnen.

Es gibt wenig Dialog im Film. Weshalb haben Sie sich dafür entschieden?

Der Fokus liegt auf der Zeit, die vergeht. Und dafür braucht man keine Erklärungen und keine Dialoge. Schon beim Schreiben habe ich mich auf die Situationen und Stimmungen konzentriert, auf die psychologischen Dynamiken.

Ich habe mich auch gefragt, ob das speziell die Männer charakterisieren sollte. Der Lkw-Fahrer Mahur spricht ja kaum.

Ja, er redet wenig. Es hat damit zu tun, dass er im Film eine Person des Übergangs ist: Er kommt. Er verliebt sich. Er geht wieder. Und wir wissen nicht, ob er noch einmal zurückkehrt. Die Figur geht auf meine Beobachtungen von Fahrern zurück, die ja tatsächlich „dazwischen“ sind: Ihr Leben spielt sich auf der Straße ab – das ist gefährlich. Selbst wenn sie Familien haben, gute Väter sind, sind sie nicht viel zu Hause. Wenn sie keine Fracht haben, dann müssen sie warten. Sie essen und schlafen in ihren Trucks, sind meist alleine unterwegs. Und sie reden eben nicht viel. Ich bin auch mit einigen mitgefahren. Wenn ich etwas gefragt habe, dann kam oft sehr lange keine Antwort.

Wie haben Sie Ihre Darsteller instruiert? Vor allem den Fahrer?

Ich habe ihn sozusagen angelernt! Özcan Deniz [der Darsteller von Mahur] ist ja sehr berühmt in der Türkei, aber ursprünglich kommt er vom Land, solche Leute sind ihm also nicht fremd. Wir hatten außerdem einen richtigen Lkw-Fahrer dabei, er hat uns die technischen Dinge beigebracht, aber wir haben auch etwas von seiner Körpersprache abgeschaut. Für Baris Hacihan, der Olgun spielt, war es die erste Rolle. Auch Neslihan Atagül, die Zehra, hatte wenig professionelle Erfahrung – schon gar nicht mit so einer fordernden Rolle.

In der zweiten Hälfte des Films nimmt Zehras Geschichte eine Entwicklung, die melodramatisch gefärbt scheint.

Das ist nicht melodramatisch, ich würde es eher radikal nennen. Zehra geht durch eine tiefe Depression. Sie geht mehr und mehr nach innen, sie ist ganz und gar allein – und ich wollte das auf eine sehr kompromisslose Art erzählen. Bei einem populären Filmmelo oder einer TV-Serie würde man da ein bisschen weinen. Aber ich wollte das Publikum intensiver packen.

TV-Serien und andere Fernsehprogramme sind für Ihre Figuren eine wichtige Projektionsfläche. Sie scheinen in der entlegenen Gegend, in der sie leben, die einzige Verbindung zu einer anderen Welt, anderen Lebensentwürfen zu sein – noch eine Form von „dazwischen“, oder?

Genau. Sie haben im herrschenden System keine Perspektive. Sie arbeiten, sie gehen nach Hause. Sie träumen von Veränderung; im Fernsehen werden ihnen dann Hoffnungen gemacht, falsche Träume eingetrichtert.

Wie sind Sie selbst eigentlich Filmemacherin geworden?

Ich habe Architektur studiert, mich aber während des Studiums bereits für Fotografie und Film interessiert. Ich habe immer schon geschrieben, das war meine Form, mich auszudrücken. Yilmaz Güney [ein wichtiger kurdisch-türkischer Regisseur] habe ich schon als Jugendliche bewundert, irgendwann habe ich „Das Schweigen“ von Bergman gesehen – so etwas wollte ich dann auch machen, erste Kurzfilme sind entstanden.

■ Das Festival gilt als eines der bedeutendsten Frauenfilmfestivals weltweit. Köln und Dortmund wechseln sich als Gastgeber ab. In diesem Jahr ist Köln an der Reihe: Dort werden 107 Filme aus 37 Ländern gezeigt. Unter anderem ist ein Film von Mara Mattuschka zu sehen, die in einem Werk von Regisseurin Elisabeth Klocker auch porträtiert wird. In der Sektion „Filmlust Queer“ werden 28 Filme gezeigt, die sich mit Begehren und queerem Widerstand beschäftigen. Im Rahmen des diesjährigen Länderschwerpunktes „Türkei“ präsentiert Regisseurin Yesim Ustaoglu ihren Film „Pandoras Box“ und lädt am Sonntag, dem 13. 4., zum Werkstattgespräch ein. Dort spricht sie über „Kollektive Erinnerung, Identität und Zugehörigkeit“ als Themen in ihrer Arbeit. Das Festival findet noch bis 13. April in Köln statt. Weitere Infos und das komplette Programm unter www.frauenfilmfestival.eu.

War es schwierig Fuß zu fassen?

Man muss sein Ziel fixieren. Ich war da ganz unbeirrt, es wurde eine Leidenschaft. Es gibt ja sehr viele gute Filmemacherinnen, im Mittleren Osten, in Lateinamerika, überall auf der Welt – es ist mehr eine Frage der Sichtbarkeit, dass beispielsweise Festivals die Arbeiten ernst nehmen und zeigen. Nicht nur in der Türkei stehen Frauen gesellschaftlich sicher unter größerem Druck, es wird erwartet, dass sie Kinder kriegen, nicht arbeiten, sich dem Ehemann unterordnen. Aber wenn Frauen sich etwas in den Kopf setzen, dann können sie unglaublich stark sein und nichts wird sie aufhalten.

Das merkt man auch an Ihren Protagonistinnen, sogar die Mütter in Araf, die ja eher traditionell eingestellt sind, sind zugleich sehr entschlossen.

Genau. Und umgekehrt gibt es ja auch schwache Männer, die völlig von ihren Müttern abhängig sind. Und sie erwarten dann von ihren Ehefrauen, dass diese sie auf dieselbe Weise umsorgen, alles für sie organisieren wie ihre Mütter.

Das Ende von Araf ist überraschend – ohne ins Detail zu gehen: Wieso haben Sie sich für dieses Setting entschieden?

Sie sind zusammen, aber sie stecken immer noch fest. Zwei unendlich einsame Menschen, denen eines bleibt: die Loyalität.