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Archiv-Artikel

Kevin wurde zu Tode geprügelt

Die „Chronologie“ über den Fall des toten Kevin aus Bremen erklärt das Versagen der Sozialbehörde nicht. Die Akten werden seit seiner Geburt geführt. Sozialsenatorin Karin Röpke (SPD) übernahm die politische Verantwortung und trat zurück

Bereits im Jahr 2004 war Kevin, damals noch kein Jahr alt, wegen mehrfacher Brüche an den Unterschenkeln im Krankenhaus gewesen

AUS BREMEN KLAUS WOLSCHNER

Der zweieinhalbjährige Kevin aus Bremen-Gröpelingen ist offenbar von seinem Vater schwer misshandelt und zu Tode geprügelt worden. „Anzeichen für einen natürlichen Tod liegen nicht vor“, teilte die Staatsanwaltschaft gestern Abend mit. Nach den Ergebnissen der Obduktion scheint auch ein „Unfall“, auf den sich der Vater beim Auffinden der Kinderleiche herausgeredet hatte, ausgeschlossen. „Bruch des linken Oberschenkelknochens, Bruch des rechten Schienbeins, Bruch des linken Unterarms (Speiche), Einblutung auf dem Schädel“, heißt es im Obduktionsbericht.

Gegen den Vater beantragte die Staatsanwaltschaft noch am gestrigen Abend Haftbefehl wegen des dringenden Verdachts der Misshandlung Schutzbefohlener und des Totschlags. Darüber hinaus hat die Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts einer Verletzung der Fürsorgepflicht (§ 171 Strafgesetzbuch) ihre Ermittlungen auf bisher unbekannte Mitarbeiter des Amtes für Soziale Dienste ausgeweitet.

Die politischen Konsequenzen aus dem Tod des Kindes, das Mittwoch früh halb verwest im Eisschrank seines drogenabhängigen Vaters aufgefunden worden war, hatte die Bremer Sozialsenatorin Karin Röpke (SPD) gestern Vormittag schon gezogen: Sie erklärte, den Tränen nahe, ihren Rücktritt. Das Kind sei aufgrund der Amtsvormundschaft „in der Fürsorge des Staates“ gewesen, räumte sie ein. Sie sei gern Sozialsenatorin gewesen, aber die Kraft für die Aufklärung der Umstände, unter denen es zum Tod des Kindes gekommen sei, könne sie jetzt nicht mehr aufbringen.

Bürgermeister Jens Böhrnsen (SPD) meinte, der Rücktritt sei „richtig und notwendig“ und deutete an, dass der Fehler möglicherweise im System der Bremer Sozialpolitik gelegen habe. Dass der Hintergrund Kostenerwägungen sein könnten, wie Kritiker sagen, bestritten die Vertreter der Sozialbehörde gestern.

Der Vater, dem das Sozialamt die Erziehungsfähigkeit nicht absprechen wollte, ist nach der Hausdurchsuchung und dem Auffinden der Kinderleiche sofort festgenommen worden. Er stand unter Bewährung, weil er er wegen Raubes zu einer längeren Haftstrafe verurteilt worden war. Zudem gibt es ein neues Ermittlungsverfahren wegen eines Gewaltdeliktes gegen ihn. Für den Staatsanwalt ist der Vater grundsätzlich auch noch im Verdacht, Schuld am Tod von Kevins Mutter zu sein. Sie starb im vergangenen Herbst an den Folgen eines Sturzes. Die Notärztin hatte zu Protokoll gegeben, Fremdeinwirkung bei dem Sturz sei nicht auszuschließen.

Offensichtlich hat die Sozialbehörde das Kind seit seiner Frühgeburt im Klinikum Bremen Nord im Januar 2004 aktenmäßig begleitet. Mehrfach waren Mutter und Vater zu Entgiftungen, der Vater auch einmal in einer psychiatrischen Klinik in Bremen. Sechs Wochen lang wurde die „Erziehungskompetenz“ vom „Familienkrisendienst“ der privaten Hans-Wendt-Stiftung geprüft – und bejaht. Im Jahre 2004 war das Kind auch wegen mehrfacher Brüche an den Unterschenkeln im Krankenhaus gewesen.

Im Sozialamt, so berichtete dessen Leiter Jürgen Hartwig, sei die Frage der Erziehungsfähigkeit im Frühjahr 2006 noch kontrovers diskutiert worden, eine Minderheit habe mit Hinweis auf das Kindeswohl darauf gedrungen, das Kind dem Vater zu entziehen, eine Mehrheit habe aber mit Hinweis auf die „Familienorientierung“, wie Hartwig formulierte, dagegen entschieden. Bedingung sollte allerdings sein, dass der Vater Hilfe annimmt. Der hatte sich der Vater aber weitgehend erfolgreich entzogen und stattdessen behauptet, er wolle zu seiner Mutter ziehen, die außerhalb Bremens lebe. Damit wäre das Bremer Sozialamt die Verantwortung los gewesen, eine andere Kommune hätte die Zuständigkeit übernehmen müssen.

Als die Großmutter von Kevin dann allerdings im Sommer dem Sozialamt mitteilte, dass ihr Sohn und Kevin gar nicht bei ihr seien, da wuchs offenbar das Misstrauen beim „Fallmanager“. Im September beschloss die Fallkonferenz, das Kind dem Vater wegzunehmen. Als am 10. Oktober dann die Polizei die Tür zur Wohnung aufbracht, war es zu spät.

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