besuch auf dem lande von SUSANNE FISCHER
:

Früher war ich es ja, die fassungslos feststellte, dass es anderswo mehr als bloß einen dürren Streifen Himmel zwischen Mauern zu sehen gibt und Kirschen an Bäumen wachsen, von denen man sie pflücken kann. Inzwischen wohne ich selbst auf dem Lande und verrotte dort langsam wie unser Komposthaufen, denn Besuch gibt’s nicht. Der gemeine Berliner schafft es nie bis nach außerhalb. Ich weiß gar nicht, wozu die Mauer abgerissen wurde. Und in Hamburg scheint die Elbe ständig unüberwindliches Hochwasser zu führen. Man muss betteln, jammern, jaulen und drohen, dann lassen sich die alten Freunde vielleicht einmal im Jahr blicken.

Diesmal versuchten sie, noch von unterwegs abzusagen. „Hier ist so ein elender Stau“, log Jan mit gespielter Verzweiflung in sein Handy, während ich hören konnte, wie die Damen auf der Hinterbank des Wagens sich darüber unterhielten, welches angesagte Café sie gleich aufsuchen wollten. „Wie weit seid ihr denn?“, fragte ich. Sie hatten es schon bis nach Harburg geschafft, immerhin fünf Kilometer. Da würden ihnen die restlichen 130 ja wohl auch keine Schwierigkeiten machen, zischte ich, und was sollte ich sonst mit der Torte und der Suppe anfangen? Ich hörte Jan trocken „Wir müssen doch hin“ schluchzen, während Edwin aus dem Hintergrund „Genau wie meine Mutter!“ brüllte.

Dann purzelten sie kaum verspätet aus dem Wagen. Das Kind, das sonst in einem städtischen Wohnverschlag gehalten wird, war so entzückt über die Erfindung des Apfelbaums, dass es nacheinander sieben Äpfel pflückte, anbiss und fortwarf. Die Erwachsenen erwähnten heuchlerisch, es sei ja, äh, wirklich recht schön hier, mit Ausnahme der Wespen. Ob ich schon mal einen echten Maulwurf gesehen hätte? Sie nämlich schon, in der Stadt. Dazu schnitten sie triumphierend urbane Gesichter.

Es sei aber wirklich toll viel Platz auf dem Land, urteilten sie sicher mit Blick über die Felder, ehe sie anfingen, vor lauter Landlust in Strumpfsocken Fußball zu spielen. Ich servierte dazu handgeschroteten Apfelkuchen und selbst geschnitzte Kürbissuppe, um ins Bild zu passen. Allerdings hatte ich vergessen, mich in grobes Leintuch zu hüllen und schadhafte Holzpantinen anzulegen, sodass ich für unsere Hamburger dann doch letztlich eine Enttäuschung war.

Ich erzählte viel von Fledermäusen, der freiwilligen Feuerwehr, Fröschen und dem Schützenverein. Sie begannen, sich Notizen zu machen und meinen Schädel zu vermessen, und fragten, ob sie mich fotografieren dürften. Deshalb machte ich mich lustig darüber, dass Eltern in der Stadt ihre ganze Zeit damit verbringen, die richtige Schule für die Kinder auszusuchen. Aus ihren verständnislosen Blicken entnahm ich, dass sie im Ernst glaubten, es gäbe auch bei uns mehr als eine Schule. Sie schlugen ihre Notizbuchseiten jetzt um zum Buchstaben D wie Dorfdepp. Daraufhin gab ich ihnen Alkohol zu trinken, den gibt es auf dem Lande nämlich auch.

Am Ende ließen sie mir Glasperlen da und versprachen, regelmäßig wiederzukommen. Tatsächlich waren sie schon nach einer Viertelstunde zurück, weil sie sich verfahren hatten. Auch ihr Auto war sehr städtisch, aber am Ende war es doch ein bisschen staubig geworden.