: Lotse zwischen den Welten
Gérard Bobo Lutete vermittelt in seinem Weddinger Kiez zwischen Ämtern und Migranten. Viele von ihnen können kaum Deutsch, er spricht sechs Sprachen. Doch eigentlich hat Lutete ganz andere Pläne
VON JÖRG BRAUSE
In dem kleinen Ladenlokal surren Computer. Die Sonne brennt durch die große Scheibe. Gérard Bobo Lutete rückt zwei Bürostühle an den Schreibtisch aus hellem Fichtenholz. „Bitte schön“, sagt er mit tiefer Stimme und lädt den Besuch ein, Platz zu nehmen. Für eine erste Frage ist keine Zeit. Das Telefon klingelt. „Bobo, für dich“, ruft sein Kollege und reicht den Apparat weiter. Er erklärt einer Anruferin, warum sie nach ihrem Umzug zum Einwohnermeldeamt gehen soll. Und wie sie mit der U-Bahn die Behörde erreicht.
Lutete setzt legt die Hände flach auf den Tisch. Selbst sitzend überragt er sein Gegenüber um einiges. Er schiebt eine Packung Waffeln beiseite. „Mein Frühstück, wenn es morgens schnell gehen muss.“
Seit Herbst 2005 hilft der 32-Jährige Zuwanderern im Lotsenprojekt des Sprengelkiez, sich im Behördendschungel zurecht zu finden. Von den rund 15.000 Einwohnern in dem Weddinger Quartier sind 41 Prozent Migranten. Viele von ihnen sprechen kein oder nur schlecht Deutsch. Deshalb überbrücken Lutete und seine sieben Kollegen mit ihren Sprachkenntnissen die Verständigungsschwierigkeiten zwischen den Hilfesuchenden und den Ämtern im Bezirk Mitte. Hier können die Menschen Ansprechpartner finden, die Serbokroatisch, Türkisch, Englisch, Kurdisch, Französisch und Arabisch sprechen. Daher auch der Name ihres Büros, „Brücke“. Bezahlt wird Lutete als ABM-Kraft vom Jobcenter, das die Stelle für ein Jahr finanziert.
Lutete wischt mit der Hand über den Tisch. Viele Migranten wüssten nicht, sagt er, welche sozialen Leistungen ihnen zustünden und wie ihnen geholfen werden könnte. „Viele haben Angst vor den Ämtern, die wir ihnen durch unsere Arbeit nehmen können.“ Die Kiezbewohner wenden sich mit Schulproblemen, auf der Suche nach einem Kitaplatz oder wenn es Schwierigkeiten mit dem Vermieter gibt, an die Lotsen. „Einmal rief ein Mann an, der für seinen angeblich kostenlosen Internetanschluss eine hohe Rechnung begleichen sollte. Dem konnte ich einen günstigen Rechtsbeistand vermitteln.“
Manche Ratsuchende bringen gleich einen ganzen Stapel von Formularen mit. Dann übersetzt Lutete erst mal die Antragstitel und erläutert den Sinn und Nutzen des Vordrucks. „Gestern habe ich mit einer Jordanierin und ihren zwei Kindern, die sich von ihrem Mann getrennt hat, überlegt, wie sie eine Wohnung finden kann.“ Sie füllten gemeinsam die Formulare für das Jobcenter aus und beantragten Arbeitslosengeld II und die Kostenübernahme für die Miete.
Doch immer nur anderen helfen, für ein paar Euro mehr, als er früher mit dem Arbeitslosengeld II ausgezahlt bekam, das soll es auf Dauer für Lutete nicht gewesen sein. Nicht dass er seine Arbeit nicht gerne macht. Aber in seiner Freizeit bastelt der Lotse Lutete an einer beruflichen Zukunft, die so gar nichts mit dem öden Papierkram der Behörden zu tun hat. Dann wechselt er die Rollen und tritt als Rapper „Jolez-Bo“ auf. „Da fühle ich mich in meinem Element“, sagt Lutete.
Wenn alles so läuft, wie er es sich erhofft, verdient Lutete einmal seinen Lebensunterhalt mit Rap. Auf dem Computer in dem Ladenbüro spielt er ein Musikvideo ab, das er mit Freunden gedreht hat. Der Rapper Lutete wirbelt in einer düsteren Szene durch die Berliner U-Bahn. Rudert mit den Armen durch die Luft, die ins Leere zu greifen scheinen. Wortfetzen wie „Bitch“ und „warum“, etwas wie „sich durchsetzen“, „Schwarz und Weiß“ hört man heraus.
Und worum geht es ihm in seinen Texten? Lutete stutzt, so als sei diese Frage unangebracht, als müsste man seinen Text doch von selbst verstehen. Das könne er nicht so leicht erklären, sagt er, und seine französischen Texte mit den englischen und deutschen Wörtern zu übersetzen sei schwierig. „Da sind zu viele Bilder drin, die ich nicht beschreiben kann.“
Lutete holt eine Chinakladde von nebenan. „Das Buch habe ich immer dabei, um meine Einfälle notieren zu können.“ Er blättert darin und überfliegt einige Zeilen der eng beschriebenen Seiten. „Manchmal schreibe ich darüber, das etwas nicht geklappt hat, das man sich gewünscht hat. Hier habe ich etwas über eine Liebesbeziehung zu einer Frau geschrieben, die so schön begonnen hat, und dann kommt die Enttäuschung über den anderen.“
Das ist Lutetes Leben jenseits der Behördenhilfe. Wenn er aber nicht auf der Bühne steht, kümmert er sich außerdem um die Öffentlichkeitsarbeit des Lotsenprojekts. Er zieht von Haus zu Haus, verteilt Informationsblätter, spricht Leute auf der Straße an. „Etwas Deutsch verstehen die meisten Migranten. Nur selbst sprechen können es viele nicht gut. Dann versuche ich, mich mit ihnen in einer Fremdsprache zu verständigen.“ Auf Ablehnung sei er dabei noch nie gestoßen. In rund 200 Fällen konnten die Lotsen seit Herbst 2005 mit einer persönlichen Beratung weiterhelfen, wobei die zahlreichen telefonischen Auskünfte nicht mitgezählt sind.
Sich in verschiedenen Sprachen zu verständigen, ist ein Leichtes für den aus der heutigen Demokratischen Republik Kongo stammenden Berliner. Neben Französisch, Deutsch und dem kongolesischen Lingala spricht Lutete Spanisch, Englisch und Serbokroatisch. Er selbst sieht sich als Weltenbummler. Der Schwarzafrikaner wuchs in Belgrad auf, von wo die Familie wegen des Krieges in Jugoslawien floh. 1994 kam er allein nach Berlin. Hier half ein Onkel, die nötigen Papiere zu beschaffen, damit er auf dem Französischen Gymnasium das Abitur machen konnte. Lutete erzählt mit leiser Stimme, dass er nach dem Examen wieder ausreisen musste, um anschließend ein neues Visum beantragen zu können.
Zurück in Deutschland versuchte er nach einigen Jobs, sich als Dolmetscher zu qualifizieren. Aber Gelder vom Arbeitsamt für eine Weiterbildung gab es nicht. Nach Jahren der Arbeitslosigkeit bot sich ihm mit dem Lotsenprojekt erstmals wieder die Chance auf eine regelmäßige Arbeit. Aber große Hoffnungen hat er nicht, mit dem Zertifikat als Lotse einen Job zu finden, wenn Anfang nächsten Jahres seine Stelle ausläuft. „Ich muss mir irgendeine Arbeit suchen, mit der ich Geld verdienen kann,“ sagt er.
Vielleicht hat Lutete Glück, und er wird als Jolez-Bo so bekannt, dass er davon leben kann. Immerhin hat er in Berlin schon oft Publikum begeistert, ist bei Kiezfesten, in Clubs und sogar schon mal im Tränenpalast aufgetreten. Aber einstweilen fehlt ihm noch das Geld, um mehr Werbung für sich zu machen. Dennoch drehte er in den letzten Jahren einige Videos mit befreundeten DJ’s. „Vieles kann ich mir durch meine Beziehungen zu Produzenten und Bekannten ohne viele Kosten organisieren.“ Einzelne seiner Titel sind auf Mixtapes neben denen anderer Rapper zu hören, mit denen ihm ein erster Schritte in den Musikmarkt gelungen ist. Lutete berichtet von seiner letzten Einspielung aus diesem Jahr mit dem Titel „Mon Nom“, zu Deutsch „mein Name“. Sein Name, sagt er, der stehe für etwas Sinnvolles, gegen Pessimismus. „Ich möchte mit meinen Texten eine positive Botschaft rüberbringen.“ Einfach sei es natürlich nicht, zu arbeiten und daneben als Rapper aufzutreten. „Aber auch wenn manchmal nicht alles so klappt, wie man es sich wünscht – ich kriege das hin.“