: Ladyfest entschlossen
Toll wütend und historisch wichtig: Die 3er-CD-Kompilation „Girl Monster“ versammelt Frauenbands aus 25 Jahren
Die in Berlin ansässigen Chicks on Speed haben ein gutes Gefühl für das, was geht. Nicht nur bei Electropunk, in dessen Fahrwasser die All-Girl-Band ziemlich viel Aufmerksamkeit bekommen hat. Sondern gleich in der ganzen feministischen, politischen, subkulturellen Pracht. Denn davon handelt die jetzt auf ihrem eigenen Label veröffentlichte Compilation „Girl Monster“: Auf drei CDs werden Projekte, Bands und Alleingänge von Frauen vorgestellt, die in den vergangenen 25 Jahren Krawall geschlagen haben mit ihrer Musik. Laut, rau, grell, esoterisch, verstrahlt, großspurig und entschieden durcheinander sein – hier sind 60 mal weibliches Monstertum.
Dabei liegt die Urszene im London von 1978/79. Gleich im Dutzend gründen sich Frauenbands, die mit zwei, drei Akkorden auf der Gitarre nach ein paar Stunden im Probenraum genauso produktiv sind wie ihre männlichen Pendants, die längst als Punkheroen reüssieren. Lora Logic quietscht bei X-Ray Spex auf dem Saxofon, die Raincoats zerlegen Jazz, und die Slits mischen rumpeligen Dub-Raggae mit ironischen Texten über „Typical Girls“. Der Charme des Selbstgebastelten überzeugt Medien- und Minderheitenprofis, bald schon sind Nina Hagen, Siouxsie and the Banshees oder Tom Tom Club in den Charts. Doch die Erfolgsgeschichte hat einen Haken: Ein festes Netzwerk mit dazugehörigen Vertriebsstrukturen bildete sich damals nicht.
Was soll’s, Fehler von gestern. Warum nicht dort weitermachen, wo die Tür bereits einmal weit offen stand? Tatsächlich ist „Girl Monster“ nicht bloß ein Blick zurück auf den Zorn alter Tage, an die man sich erinnert, wenn etwa Delta 5 ihr „Mind your own business“ singen. Vielmehr wollen Chicks on Speed mit der Veröffentlichung eine Brücke schlagen zwischen den oftmals vergessenen Heldinnen von einst und einem losen Geflecht in der Gegenwart, das wie etwa Scream Club mal als Geheimtipp auf dem Ladyfest auftritt, dann wieder als Gender-Performance dem Kunstkontext zugeschlagen wird und manchmal auch einfach so gut im Geschäft ist – Peaches, Björk und der fetentaugliche Pop von Soffy O inklusive.
Dass sich zudem die Produktionsmittel zum Vorteil aller Beteiligten verändert haben, merkt man auf fast jedem Track. Ohne Sampler und Computersoftware wäre das wilde Hackertum kaum denkbar: „Girl Monster“ frisst, was es kriegen kann, vom Knarzbass à la DAF bis zum fein geschnipselten Techno. Kevin Blechdom trägt ihre „Fuck“-Kaskaden in irrwitzig manipulierten Stimmlagen vor, bei Cosey Fanni Tutti oder Planningtorock fräsen die Maschinen eine kantige Melodie auf die Festplatte.
Theorie gibt es auch, von einem gewissen Pil Gallia Kollectiv, das im Begleitblatt erklärt, wie aus „Fembot“-Geschöpfen nach Art einer Donna Summer die bösen „Girl Monster“ wurden. Waren Frauen seit den Sechzigerjahren meist singendes Schmuckwerk, dessen „I feel love“ von Männern am Mischpult dirigiert wurde, so legen die Musikerinnen mittlerweile selbst Hand an. Technisch, konzeptuell und überhaupt: inhaltlich. Das kann auf den Slogan „You're fine as fuck, so fuck me fine“ hinauslaufen, der bei Peaches nicht nach Versprechen, eher wie eine Drohung klingt. Oder auf eine dekonstruktivistische Wundertüte, aus der Susanne Brokesch ihre komplett zu Noise pulverisierte Version von David Bowies „Heroes“ hervorzaubert. Nach dreieinhalb Stunden ist der Spaß aber nicht zu Ende, demnächst wird „Girl Monster“ als Serie fortgesetzt. Dann hoffentlich auch mit Hiphop und schönen Grüßen an die „soul sisters coalition“. Trotzdem, tolle Idee, tolle Musik und toll wütend.
HARALD FRICKE
Girl Monster (Chicks on Speed Records, Indigo)