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Archiv-Artikel

Flugzeug + Türme = Terror

Die hysterischen Reaktionen auf den Absturz eines Kleinflugzeuges in New York zeigen einmal mehr, dass die Rechnung der al-Quaida aufgegangen ist – und wie gut ihre Kommunikationsstrategie wirkt

VON MARIUS MEYER

New York, 11. Oktober 2006, 14:40 Uhr Ortszeit: Ein Kleinflugzeug rast in das Bel-Air-Gebäude, das unweit des Rockefeller-Centers am East-River steht. Die Maschine des Typs Cirrus SR20 bohrt sich in den 30. und 31. Stockwerk des 80-stöckigen Wohnhauses. Der Unfall tötete den bekannten Baseball-Pitcher Cory Lidle und seinen Fluglehrer. So tragisch dieser Unfall auch sein mag – für sich allein betrachtet ist er ziemlich irrelevant. Aber er versetzt New York in Angst und beweist so, dass al-Qaida ihr Ziel erreicht hat.

Terror als Gefühlssache

Terroristische Attentate sind vor allem eines: Teil einer Kommunikationsstrategie. Im Gegensatz zu regulären Armeen und Guerilleros töten Terroristen nicht, um durch diese Gewalt den Gegner direkt zur Aufgabe zu zwingen oder Territorium zu erobern. Sie hoffen auf einen indirekten Effekt: Das Gefühl, immer und überall bedroht zu sein, soll die Menschen verunsichern und dazu bringen, ihre Regierenden zu einem bestimmten Verhalten zu bewegen.

Ein Plan, der perfiderweise besonders gut in Demokratien funktioniert, denn eine wichtige Rolle spielt dabei die Politik. Um den Wählern zu zeigen, dass sie die „terroristische Bedrohung“ ernst nehmen, reden Politiker ständig über ebendiese Gefahr, rufen am laufenden Band gelbe, orange oder rote Warnstufen aus und schüren damit die Panik.

Die Bush-Regierung ließ am Mittwoch Kampfjets über den amerikanischen Großstädten kreisen, um zu zeigen, dass sie nicht nur redet, sondern auch handelt. Dabei muss sie sofort erkannt haben, dass es sich bei dem Unglück nicht um einen Anschlag handelt. Denn ein Angriff mit einem Flugzeug von neun Meter Länge gegen ein relativ unbedeutendes Hochhaus wäre nach dem 9/11-Inferno ein Rückschritt. Auch das gehört zu einer Kommunikations-Strategie: Sie ist nur erfolgreich, wenn sie das Bisherige übertrifft.

Aber im November stehen Kongresswahlen an, und die Umfragen sehen nicht gut aus für die Republikaner. Das einzige Politikfeld, auf dem die Wähler Bushs Partei mehr zutrauen als den Demokraten, ist die Sicherheit. Die Chancen der Republikaner erhöhen sich dramatisch, wenn dieses Thema in den Vordergrund gestellt wird. Vor allem, wenn es den Missbrauch von Jugendlichen durch einen Moralisten aus den eigenen Reihen aus der öffentlichen Wahrnehmung zu verdrängen gilt. Deswegen übertrieb die Administration mit ihrer Reaktion auf das Unglück – es hat Methode (www.motherjones.com).

Alle Sicherheitspolitiker, die eigentlich „Verunsicherungspolitiker“ heißen müssten, kennen den Trick. Im zweiten Schritt verschärfen sie die sogenannten Sicherheitsgesetze und schränken Bürgerechte ein. Das Ergebnis sind „Patriot-Act“ und „Otto-Katalog“ – und Bilder von Gefangenen, die im „Camp X-Ray“ auf Guantánamo wie Tiere in Käfigen gehalten werden – zur Freude der Terroristen. Denn solche Bilder schaffen erst die Unterstützung, die sie brauchen, ganz gleich, welches ihr endgültiges Ziel ist.

Gruppe und Bezugsgruppe

Jede terroristische Gruppe braucht eine Bezugsgruppe, von der sie behaupten kann, dass sie für diese kämpft. Selbst al-Qaida beruft sich nicht nur auf den angeblichen Willen Gottes. Stattdessen argumentiert sie, dass der Westen die islamische Welt und alle Muslime attackiere.

Diese Argumentation kann nur deswegen auf fruchtbaren Boden fallen, weil in den Augen der Menschen, die Bin Laden als Unterstützer gewinnen will, genau das passiert: Westliche Staaten greifen unter Führung der USA Afghanistan an und den Irak; sie unterstützen die arabischen Regime in ihrem wahllosen Vorgehen gegen vermeintliche Terroristen; sie sperren mit Hilfe der neuen Gesetze in ihren eigenen Ländern Menschen ein, die nur wegen ihres Glaubens zu Verdächtigen wurden.

Aber nicht nur Politiker sind nötig, um diese Strategie zum Erfolg werden zu lassen. Es braucht auch – und besonders – die Massenmedien. Im Kampf um Einschaltquote, Auflage und Reichweite dramatisieren sie die Geschehnisse. Sie steigern so die Angst in den angegriffenen Gruppen und übertragen gleichzeitig eine Botschaft der Terroristen an die vermeintlichen Unterstützer: „Seht her, wir kämpfen für euch.“

So stürzten sich die Medien am Mittwoch auf den Unfall und produzierten Eilmeldungen und Sondersendungen, obwohl auch sie nur sagen konnten, dass es sich wahrscheinlich nicht um einen Anschlag handelte. Bei N-TV wurde der Journalist Rolf Tophoven minutenlang als „Terrorexperte“ befragt, obwohl er sofort sagte, dass es kaum ein Anschlag gewesen sei.

Mit ihrem Verhalten unterstützen Medien und Politiker die Terroristen. So wird sogar der Absturz eines Kleinflugzeuges zum Erfolg für al-Qaida.