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Archiv-Artikel

Im Zweifel für die Religionsfreiheit

Acht Bundesländer haben bislang ein Kopftuchverbot für ihre Lehrerinnen verhängt. Doch diese Regelungen stehen auf wackligen Füßen, weil sie Muslime diskriminieren

Der Staat könnte alle religiösen Zeichen aus dem Schulalltag verbannen. Doch das will keiner

Die baden-württembergische Schulbehörde darf einer muslimischen Lehrerin nicht verbieten, im Unterricht ein Kopftuch zu tragen. So entschied im Juli dieses Jahres das Verwaltungsgericht Stuttgart. Denn in diesem Bundesland unterrichten auch Nonnen im Ordenshabit an einer staatlichen Grundschule. Wenn dies gebilligt wird, das Kopftuch aber untersagt, dann verstoße das Land gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung aller Gläubigen, so das Gericht.

Dieses Gerichtsurteil ist ein wichtiges Signal. Denn in vielen Bereichen werden Muslimen in Deutschland immer noch weniger Rechte zugestanden als Christen: So ist es schwierig, Baugenehmigungen für Moscheen zu bekommen, islamischen Religionsunterricht gibt es nur als Modellversuch in wenigen Bundesländern. Am deutlichsten aber zeigt sich die Schlechterstellung von Muslimen im Umgang mit dem Kopftuch.

Acht Bundesländer haben inzwischen ihrem Lehrpersonal gesetzlich verboten, im Unterricht religiöse Symbole zu tragen. Zuletzt verabschiedete Nordrhein-Westfalen im Frühjahr dieses Jahres ein Gesetz, das Lehrerinnen und Lehrern politische oder religiöse Bekundungen untersagt, die die staatliche Neutralität gefährden. Von diesem Verbot sind christlich motivierte Kleidungsstücke ausgenommen, während das Kopftuch als verfassungswidriges Symbol bezeichnet wird. Andere Länder, zum Beispiel Baden-Württemberg und Hessen, haben nahezu gleichlautende gesetzliche Regeln erlassen.

Diese Diskriminierung muslimischer Kleidung wird auch in der Praxis vollzogen. Als 1998 die Referendarin Fereshta Ludin wegen ihres Kopftuches in Baden-Württemberg nicht in den Schuldienst aufgenommen wurde, unterrichteten dort katholische Nonnen im Habit. Und die damalige Kultusministerin Annette Schavan behauptet als Bundesbildungsministerin weiterhin, dass es sich bei der Ordenstracht um bloße Berufskleidung und nicht um ein religiöses Symbol handele. Aus keinem Bundesland ist bislang bekannt geworden, dass Lehrerinnen das Tragen von Kreuzen als Schmuckstück untersagt wurde.

Diese offensichtliche Schlechterstellung von Musliminnen widerspricht eindeutig der Verfassung. Das Grundgesetz legt eine staatliche Pflicht zur Gleichbehandlung aller Religionsgemeinschaften fest. Zwar wird gerade in der Auseinandersetzung mit dem Islam gerne auf die christliche Prägung Deutschlands hingewiesen. Das Grundgesetz aber schreibt in Artikel 3 die Gleichheit aller Menschen vor.

Befürworterinnen eines Kopftuchverbotes wie Annette Schavan und Alice Schwarzer führen gerne an, dass das Kopftuch für Islamismus und die Unterdrückung muslimischer Frauen stehe, mithin also als politisches Symbol gegen die Werte der Verfassung verstoße. So pauschal ist diese These aber nicht haltbar, denn das Kopftuch ist nicht per se islamistisch. Einer kürzlich veröffentlichten Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung zufolge wünschten sich 90 Prozent der 315 befragten Kopftuchträgerinnen eine durchs Volk gewählte Regierung. Zudem gehören nach Aussage des Verfassungsschutzberichtes nur etwa ein Prozent aller in Deutschland lebenden Muslime einer islamistischen Gruppe an. Ebenso wenig ist das Kopftuch per se ein Zeichen für die Unterdrückung muslimischer Frauen. Ein Großteil der in dieser Studie befragten Frauen im Alter von 18 und 40 wünscht sich beruflichen Erfolg und eine gleichberechtigte Partnerschaft. Hinweise auf äußeren Druck bei der Entscheidung für das Kopftuch fanden die Forscher nicht.

Sicherlich ist das Kopftuch der sichtbare Ausdruck einer im Islam vorgegebenen Geschlechterdifferenz. Diese entspricht nicht dem Gebot der Gleichberechtigung von Mann und Frau, wie sie im Grundgesetz verankert ist. Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, der Staat dürfe keine tradierten Rollen zu Lasten von Frauen festschreiben. Demgegenüber hält das Kopftuch an dieser Rollenverteilung fest: Frauen sollen sich damit vor den begehrlichen Blicken des Mannes schützen. Damit steht das Kopftuch letztlich auch für eine Geschlechterhierarchie, mit Männern als ordnungsetzender Instanz.

Nur: Diese Geschlechterhierarchie allein kann kein Argument gegen das Kopftuch muslimischer Lehrerinnen sein, denn der Staat akzeptiert eine gewisse Ungleichheit von Frauen und Männern ja auch im Christen- und im Judentum. So sind im Katholizismus Frauen vom Priestertum ausgeschlossen und in der Bibel schreibt Paulus an die Epheser, dass Weiber ihren Männern untertan seien. Ebenso kennt die jüdische Religion eine klare Aufgabenteilung von Frauen und Männern: Danach liegt die Hauptaufgabe der Frauen darin, einen religiösen Haushalt zu führen. Die in der christlichen und jüdischen Religion ebenso wie im Islam angelegte Hierarchie der Geschlechter aber war für deutsche Politiker bislang noch kein Grund, um Lehrerinnen und Lehrern ein Kreuz als Halsschmuck oder das Tragen einer Kippa zu verbieten.

Der Staat könnte das traditionelle Geschlechterverständnis aller Religionen zwar zum Anlass nehmen, gleich alle religiösen Symbole, Kleidungsstücke und sonstigen demonstrativen religiösen Verhaltensweisen in der Schule und anderen staatlichen Institutionen zu verbieten. Überzeugender wäre es aber, unsere Verfassungsordnung weiterhin so auszugestalten, dass Religion nicht nur Privatsache ist, sondern auch im staatlichen Raum zur Schau gestellt werden darf.

Das Kopftuch zeigt eine Differenz der Geschlechter. Die gibt es aber auch in anderen Religionen

Das Grundrecht der Religionsfreiheit schützt den Einzelnen vor staatlichen Beschränkungen und dient zudem ganz besonders dem Schutz gefährdeter Minderheiten. Es ist deshalb höchst fragwürdig, dieses Grundrecht gerade dann einzuschränken, wenn auch Muslime es in Anspruch nehmen wollen. Aus diesem Grund sollte der Staat in der Schule Kopftuch wie Ordenshabit und Kippa erlauben. Dass damit auch ein gewisses Maß an religiös bedingter Geschlechterungleichheit akzeptiert wird, muss dabei zugunsten des Schutzes der Religionsfreiheit billigend in Kauf genommen werden.

Wie auch immer sich staatliche Behörden und Landesgesetzgeber letztlich entscheiden: Sie müssen alle Gläubigen egal welcher Religion gleichbehandeln. Deshalb hat die Landesregierung von Schleswig-Holstein richtig entschieden, kein Verbot religiöser Symbole in das Schulgesetz aufzunehmen. Die CDU-SPD-Koalition hat erkannt, dass ein Kopftuchverbot ohne ein Verbot christlicher Symbole nicht zu haben ist. Das aber wollte sie nicht verfügen.

In Baden-Württemberg dagegen will die Landesregierung gegen das Kopftuchurteil des Stuttgarter Verwaltungsgerichts in die Berufung gehen. Doch solange das Land weiterhin Nonnen im Schuldienst beschäftigt, kann auch ein zweites Urteil nur zugunsten des Kopftuchs ausgehen. So ist nicht auszuschließen, dass auch Baden-Württemberg das Kopftuch am Ende notgedrungen hinnimmt, um sich seine Lehrerinnen im Habit zu erhalten. Das aber wäre nur gerecht. KIRSTEN WIESE