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Archiv-Artikel

Wer den Genozid leugnet, riskiert Gefängnis

Das französische Parlament billigt in erster Lesung das umstrittene Gesetz zum Völkermord an den Armeniern

PARIS taz ■ Gestern war ein schwarzer Tag für die offizielle Türkei, die sich seit 91 Jahren bemüht, den Genozid an den ArmenierInnen zu leugnen: Am Vormittag stimmte das Parlament in Paris einem Gesetz zu, das das Leugnen jenes Völkermords unter Geld- und Gefängnisstrafe stellt. Die französischen ParlamentarierInnen votierten am Vormittag mit 106 Ja- und 19 Neinstimmen eindeutig für den Gesetzesvorschlag der oppositionellen PS. Sollte das Gesetz auch in den weiteren parlamentarischen Lesungen angenommen werden, wird das Leugnen des Genozids an den ArmenierInnen künftig in Frankreich ein Delikt. NegationistInnen drohen bis zu einem Jahr Gefängnis und 45.000 Euro Geldstrafe.

Von insgesamt 577 französischen Abgeordneten kamen nur 129 gestern zur Abstimmung. Die übrigen Abgeordneten flüchteten in ihre Wahlkreise. Nach der Abstimmung ertönte Applaus aus der armenischen Diaspora. Nach Schätzungen leben rund eine halbe Millionen Nachfahren von ArmenierInnen in Frankreich. Mit vor Rührung zitternder Stimme erklärte ein armenischer Geistlicher in Marseille: „Endlich widerfährt unseren Großeltern Gerechtigkeit.“

Von türkischer Seite kam scharfe Kritik. Eine von sieben türkischen Abgeordneten, die gestern in Paris auf der Besuchertribüne saßen, sprach von „armenischen Angelegenheiten“, die „kein Genozid“ seien, und bestritt, dass die Sache Frankreich etwas anginge. In die Entscheidung des französischen Parlaments mischte sich auch die EU- Kommission ein. Sie hatte den Gesetzesvorschlag schon vorab kritisiert. Gestern erklärte sie, das Gesetz würde die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei komplizieren. Von realpolitischen Ängsten geprägt sind auch die Reaktionen der rechten Regierung in Paris, die sich ihrerseits gegen das Gesetz gestellt hat. Außenhandelsministerin Christine Lagarde sprach von möglichen Milliardenausfällen im bilateralen Handel mit der Türkei. DOROTHEA HAHN