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Archiv-Artikel

Wie ein Baumblatt

FRIEDHOFSKULTUR Auf dem Apfelhain des Ohlsdorfer Friedhofs sind naturnahe Beisetzungen möglich

Narzissen blühen, die Stämme der Apfelbäume sind noch schmal, der Rasen noch nicht dicht. Einen Steinwurf entfernt ist eine Kapelle. Obwohl es in Strömen regnet, steht ein älteres Ehepaar neben einem Grab, das erst vor Kurzem ausgehoben worden ist. „Unsere Tochter liegt hier“, erklären die beiden. Ihnen habe besonders die Naturbelassenheit der Anlage gefallen. Andere Gräber seien dagegen so künstlich.

Unter der Erde schwindet der Körper, darüber blüht ein Apfelbaum. Das Alte vergeht, etwas Neues entsteht. Asche zu Asche, Staub zu Staub, sagen die Geistlichen. Wem dieser religiöse Gedanke zusagt, kann sich seit Anfang Oktober 2013 im Apfelhain begraben lassen: einer überschaubaren Ruhestätte des Ohlsdorfer Friedhofs in Hamburg, auf der fünf Apfelbäume stehen. Seit Jahren werden diese Themenanlagen beliebter. Elf Särge und 98 Urnen passen in den Apfelhain. Die Sargplätze, sagt Lutz Rehkopf, Sprecher der Hamburger Friedhöfe, seien bereits vergeben.

Woran das liegt? „Es gibt eine Tendenz zum pflegefreien Grab“, so Rehkopf. Ökonomisch betrachtet, fallen Bestattergebühren und Kosten für Sarg, Wäsche, Trauerschmuck, eine GrabrednerIn, Musik, Friedhofsgebühren und die Grabpflege an. Letztgenannte macht dabei im Schnitt zwei Drittel der Gesamtkosten aus. Denn der Beitrag wiederholt sich jährlich, also mindestens 25 mal innerhalb der normalen Ruhezeit. Im Apfelhain indes ist ein einmaliger Beitrag zu zahlen: Eine Urnengrabstätte kostet 1.775, ein einstelliges Sarggrab 2.150 Euro. Es geht den meisten aber laut Rehkopf nicht in erster Linie ums Geld, sondern darum, das Grab nicht pflegen zu müssen.

Überdies ist die Gestaltung bei Themenanlagen wie dem Apfelhain vorgegeben; noch etwas, worüber man sich keine Gedanken machen muss. „Es wäre zu viel verlangt, von jedem Menschen ein individuelles Grabkonzept zu erwarten. Dazu ist der Tod meist zu abstrakt“, sagt Rehkopf. Dennoch wolle die Friedhofsverwaltung keine philosophischen Ideen oktroyieren. „Manche finden es schön, zwischen Apfelbäumen begraben zu sein.“ Vielleicht weil die Deutschen ein besonderes Verhältnis zum Symbol des Baums haben.

Die Idee der naturnahen Beisetzung beruht auf der sogenannten Friedwald-Bewegung. Anfangs galt dies als Alternative zu herkömmlichen Bestattungsorten, inzwischen wird dies von größeren Friedhöfen imitiert. Innerhalb der Sepulkralkultur, die Sterben, Bestatten und Trauern umfasst, gibt es viele Bezüge zum Kreislauf der Natur. „Die Idee der Wiederkehr hat etwas Tröstliches“, sagt der Friedhofssprecher. „Wir sind das Blatt, das am Baum hängt. Wenn es fällt, ist das Leben vorbei, ein neues Blatt wächst.“  AMADEUS ULRICH