: Für jede Träne ein Lächeln
ERINNERUNG Anja Niedringhaus ist am 5. April ums Leben gekommen. Sie war mehr als eine Kriegsreporterin. Sie fotografierte gegen die Entmenschlichung der Gewalt an
■ 1990 Die European Pressphoto Agency (EPA) wird auf ihre Fotos vom Fall der Mauer aufmerksam. Anja Niedringhaus ist die erste Frau, die dort angestellt wird.
■ 1992 Jugoslawienkrieg. Niedringhaus wird in Sarajewo von Heckenschützen unter Feuer genommen und getroffen. Sie überlebt nur dank einer kugelsicheren Weste. Bis zum Ende des Krieges wird sie immer wieder verletzt.
■ 2001 Die Terroranschläge des 11. September. Sie reist kurz erstmals nach Afghanistan, wo sie über den Sturz der radikalislamischen Taliban berichtet, seit 2002 im Auftrag der US-Nachrichtenagentur Associated Press (AP).
■ 2003/04 gehört sie zu den wenigen Kriegsreportern, die „embedded“ bei der Schlacht um Falludscha im Irak dabei sind. Später gehen ihre Fotos aus dem Abu-Ghraib-Gefängnis um die Welt.
■ 2005 Pulitzerpreis für die Fotos aus dem Irak, gemeinsam mit neun AP-Kollegen.
■ 2009 Niedringhaus ist die Erste, die nach dem Isaf-Raketenangriff Fotos der beim Luftangriff bei Kundus zerstörten Tanklastwagen macht.
VON STEFANIE FRIEDHOFF FOTOS: ANJA NIEDRINGHAUS/AP
„Scheiße.“ Ein einfaches Wort, das einem in Deutschland schnell rausrutscht. Im Walter-Lippmann-Haus aber, der altehrwürdigen Villa der Nieman Foundation for Journalism auf dem Campus der Harvard University hört man es selten.
„So eine Scheiße!“ Mir klingt noch in den Ohren, wie Anja das durch die Küche ruft, mit ihrer rauen Stimme und der Wucht einer Frau, die ihr Leben vorwärts lebt, immer geradeaus, ohne Schnickschnack und stets von der eigenen Überzeugung getrieben, auch wenn diese einen in Krieg und Kugelhagel schickt. Oder nach Wimbledon. Oder eben, im Herbst 2006, nach Harvard.
Anja Niedringhaus war weder die erste Deutsche noch die erste Kriegs- und Krisenberichterstatterin, die als Fellow an die Nieman Foundation nach Cambridge in die USA kam. Aber niemand vor oder nach ihr konnte so schön fluchen. Mehrsprachig. Und sie endete immer mit einem schallenden Lachen. Kein Missgeschick war es wert, sich allzu lange darüber aufzuregen – es gibt schließlich Wichtigeres auf der Welt.
Anja nutzte ihre Zeit an Harvard zum Durchatmen. Um Pause zu machen vom professionellen Fotografieren. Vom Krieg. Vom permanenten Zeugentum. Cambridge ist eine bunte, internationale, aber auch bequeme kleine Stadt: Man kann alles zu Fuß erreichen. Die Polizeimeldungen erzählen von Handtaschenraub. Für Kriegskorrespondenten und Journalisten, die aus medienfeindlichen Diktaturen kommen, ist der Ort eine Oase der Sicherheit, und damit der Freiheit.
Jedoch, so viel bürgerliche Normalität ist nicht immer einfach zu leben. Zwischen Lobster-Picknick und Strandbesuch hadern war correspondents oft mit der Widersprüchlichkeit der Welt.
Nicht Anja. Sie eilte mit dem Fahrrad von Vorlesung zu Vorlesung, enthusiastisch, neugierig, voller Energie. Beim Mittagessen auf dem Harvard Square erzählte sie verschmitzt von ihrer grandiosen Gesichtscreme, der sie ihr „jugendliches Aussehen“ zuschrieb.
Gekannt hatten wir uns schon vorher, im Deutschland der 90er Jahre – aber wirklich kennengelernt haben wir uns in Cambridge. Zwei Deutsche in der Diaspora, zwei Westfälinnen gar – da war es nur eine Frage der Zeit, bis das Gespräch auf unsere gemeinsame Geschichte kam, den Krieg der Kriege. Und natürlich auf Westfalenwitze.
„Scheiße.“ Es ist nicht nur das Wort, sondern der Klang ihrer Stimme, was in mir hallt, seit mich die Nachricht von Anjas Tod erreichte. Freitag, 4. April, 7 Uhr früh Ostküstenzeit, via E-Mails aus Malawi, Nepal, Deutschland: Anja. Erschossen. In Afghanistan. No, wait. What?
An der Fassungslosigkeit, die sich an jenem Tag im Internet ausbreitete, zeigte sich schnell, wie tief Anja Menschen in der ganzen Welt berührt hatte – mit ihrer einzigartigen Persönlichkeit, mit ihren unverwechselbaren Fotos.
Für mich war Anja die widerstandsfähigste Konfliktberichterstatterin, die mir in fast zehn Jahren Zusammenarbeit mit Journalisten aus aller Welt begegnet ist. Ihre Geradlinigkeit, ihr krachender, gern auch mal schwarzer Humor und ihr Pragmatismus waren ihre Waffen gegen Ignoranz und Vergessen, gegen Angst und Abstumpfung.
Was wir an der Nieman Foundation Konfliktjournalisten wie ihr raten – achte auf deine Grundbedürfnisse, auf gutes Essen und Schlaf, kapsele dich nicht ab, sondern bleib in Kontakt und spreche mit Freunden oder Familie –, waren für Anja schon immer Selbstverständlichkeiten. An einem ihrer letzten Abende in Kabul kochte sie Kartoffeln und Würstchen für ihre Freunde, darunter die AP-Kollegin Kathy Gannon.
Kathy saß neben Anja im Auto, als ein afghanischer Polizist das Feuer auf beide Frauen eröffnete. Sie liegt derzeit schwer verwundet in einem deutschen Krankenhaus.
Von einem „sinnlosen Tod“ ist in den vergangenen Tagen oft die Rede gewesen. Dass ein Polizist – womöglich von westlichen Kräften „ausgebildet“ – auf zwei unbewaffnete Journalistinnen schießt, die einen Konvoi zu einem Wahllokal begleiten, scheint unfassbar, unmöglich, unmenschlich.
Aber Anja hat sich stets dagegen gewehrt, wenn Menschen von „sinnloser Gewalt“ sprachen oder das „sinnlose Töten“ beklagten. Für Anja Niedringhaus gab es keine „sinnlose Gewalt“. „Alle Gewalt hat ihre Wurzeln, Impulse, Motive, ob wir es sehen wollen oder nicht“, schreibt der amerikanische Autor und Dichter Luis Rodriguez, einst ein Gang-Mitglied in Los Angeles, in seinem Buch „It Calls You Back“. Und es sind Worte, mit denen man sich Anjas Lebenswerk nähern kann. In ihren Fotos wagt Anja eben diesen Blick auf die Wurzeln: Sie erlaubt uns nicht, Krieg nur als Skizze wahrzunehmen. Die Entmenschlichung, die gewaltsame Auseinandersetzungen insbesondere von Soldaten verlangen – Anja wirkt ihr entgegen, in jedem einzelnen Bild. Sie erzählt immer von Menschen, von Frauen, Kindern und Männern, die ihren Alltag im Krieg bestreiten.
Deshalb passt auch der Begriff war correspondent nicht auf sie. Es ist ein Label der Gewohnheit. Wir müssen genauere Worte finden.
Anja hat nie nur das Kämpfen und Sterben fotografiert, sondern insbesondere das Leben im Krieg – im Chaos, das chronische Gewalt hinterlässt. Für jede Träne, die sie festgehalten hat, fotografierte sie ein Lächeln. Für jedes verlorene Leben eines, das Widerstandskraft, Würde zeigt.
Anjas Klarheit und ihr kompromissloser Journalismus werden mich stets begleiten. Einige ihrer klaren, gleichwohl nicht immer druckbaren Worte sicher auch.
„Ja sicher häng ich an meinem Leben“, erklärte sie eines Abends in Cambridge. „Aber weggucken kann ich auch nicht.“
■ Stefanie Friedhoff ist freie Journalistin und Projektleiterin der Nieman Foundation for Journalism in Harvard, unter anderem für das „Trauma Journalism Program“