: Der Leserbriefschreiber
Der pensionierte Kriminaloberrat Holger Gundlach glaubt an die Kraft des besseren Arguments und weder ein rechtsextremer Dienstherr noch die Hinterzimmer der Politik haben ihn darin beirrt
von FRIEDERIKE GRÄFF
Warum sollte man einer Zeitung schreiben? Sie schreibt ja doch nicht zurück. Holger Gundlach schreibt ihr trotzdem. Er schreibt ihr nicht, weil ihm ein Artikel besonders gut gefallen hätte, auch nicht, weil er einen besonders schlecht fand. „Das wissen Sie selber“, sagt er. Er schreibt, „wenn es inhaltlich etwas zu ergänzen gibt“. Das gibt es häufig, manchmal jede Woche, mindestens aber alle zwei Wochen.
Holger Gundlach ergänzt die politischen Texte, vor allem die, in denen es um Kriminalität geht, um Justiz und Polizei. Gundlach ist „Kriminalrat i.R.“, so hat er seinen ersten Leserbrief an die taz hamburg vom 3. Februar 2006 unterschrieben, als er der Abschaffung des Erziehungsgedankens im Jugendstrafrecht „entschieden“ widersprach.
Holger Gundlach hat 17 Jahre in der Grundsatzabteilung des Landeskriminalamtes gearbeitet, er hat die Arbeit von Kommissariaten analysiert und Statistiken ausgewertet. „Als Leiter des Mobilen Einsatzkommandos wäre ich eher eine Fehlbesetzung gewesen“, sagt er. „Ich kann Kollegen nicht gut motivieren, dazu bin ich zu unemotional.“ Er hat die Arbeit geliebt und er hat nicht nur von sich selbst verlangt, sie perfekt zu machen. „Es dauerte lange, bis ich einmal sagte: ,Ausgezeichnete Arbeit‘.“
Er hätte sich gewünscht, dass die Kollegen mehr zu seinen Vorschlägen gesagt hätten. Wenn sie ihn ergänzt hätten, so wie er heute die taz-Artikel ergänzt. „Ihr müsst mir sagen, wenn ich rumspinne“, hat er sie ermahnt. Aber sie haben kaum etwas gesagt und wenn er daran zurückdenkt, wie andere Vorgesetzte mit ihren Untergebenen umgingen, kann er es sogar verstehen. Aber er selbst glaubt an die „Kraft des Arguments“, vielleicht um so mehr, als in seinem Elternhaus wenig diskutiert wurde.
In seinen letzten Dienstjahren unter Innensenator Schill hat er noch einmal erlebt, wie es ist, wenn es nicht um Argumente geht, sondern darum, bereits gefasste Entschlüsse nachträglich zu legitimieren. Zumindest hat er es so empfunden und anders als geplant die Pensionierung mit 60 Jahren beantragt.
Damals war er schon bei den Grünen, denen er beitrat, als Schill erstmals die politische Bühne betrat. „Ich fand, dass sie Nachhilfe in Sachen Kriminalitätsbekämpfung brauchten“, sagt er. „Sie brachten nicht rüber, dass der Präventionsgedanke nicht ‚Ei, ei, ei‘ für den Verbrecher bedeutet.“ Seine Vorstellung, dass man in der Politik um das bessere Argument ringe, hat in der Praxis ein wenig Schaden genommen.
Kürzlich hat er den Vorsitz bei den Wandsbeker Grünen aufgegeben. Seitdem hat er mehr Zeit für die Leserbriefe. Eine Stunde braucht er dafür, manchmal auch zwei. „Ich bin nicht mit 80 Prozent Qualität zufrieden“, sagt er. Am 22. Juni 2006 hat er deshalb doch einmal einen Leserbrief geschrieben, der keine Ergänzung im engeren Sinn war. Anlass war ein ganzseitiges Blumenfoto, das Gundlach so sehr verärgerte, dass er eine Auflistung dessen schickte, was in einer Zeitung wichtig ist. „Uninformative Fotos anstelle von Berichten, Kommentaren und Leserbriefen zum politischen Geschehen sind inakzeptabel.“
Hinweis: Friederike Gräff, 34, ist Redakteurin bei der taz nord in Hamburg.