Raus aus der Smalltalk-Falle

Der Arbeitsmarkt ist angespannt – genau wie junge Kreative, die sich deswegen vorm Schreibtisch potenzieller Auftraggeber linkisch anpreisen. Die Selbsterniedrigung von Prekären hat einen Namen: „networking“. Muss das sein? Wir finden: Nein!

VON KIRSTEN REINHARDT

Netzwerk. Das ist ein kleines Wort. Sperrig-deutsch erinnert es an spinnende Insekten oder Computer, die von Neustadt-Glewe bis Nowosibirsk Daten austauschen. Seit etwa fünf Jahren geistert es als Verb durch sämtliche Karrieremagazine und Berufsstart-Beilagen deutscher Zeitungen. Das Zauberwort wird gern auch in der englischen Fassung verwendet: networking heißt es dann. Und bedeutet: Durch zwanglose Kommunikation mit Menschen, die über entsprechende Macht oder Kontakte verfügen, einen beruflichen Vorteil erlangen. Oder, für Freiberufler und sonstige bohemistische Projektwurstler: Aufträge ergattern durch Kontaktaufnahme mit potenziellen Vergebern und intensive Pflege derselben.

Zwanglose Kommunikation. So eine Zwanglosigkeit vorzutäuschen ist eine schwierige Angelegenheit. Man möchte es dabei schließlich nicht so aussehen lassen, als wolle oder, noch schlimmer, als brauche man etwas. Einen Job, einen Auftrag … bitte, bitte … die Rechnungen stapeln sich schon zu Hause auf dem Küchentisch. Nein, das will man nicht. Obwohl es so ist. Also tarnt man das Netzwerken unverkrampft-geschickt in einer netten E-Mail, einem Geplauder über die herrliche Herbstsonne und den tollen Film, der gerade im Kino läuft – um sich schließlich so ganz nebenbei zu erkundigen, ob die Schwangerschaftsvertretung noch frei ist.

Eigentlich ist Netzwerken ein uraltes Ritual, das lediglich einen schicken New-Economy-Namen bekommen hat. „Der Hype um das Netzwerken hat mit dem angespannten Arbeitsmarkt zu tun“, erklärt der Soziologieprofessor Martin Diewald von der Universität Gießen. Im Grunde sei Netzwerken eine ganz natürliche Sache. „Es gibt Netzwerke, die einfach dadurch entstehen, dass man arbeitet und dabei Leute kennenlernt. Zertifikate sagen nichts darüber aus, ob jemand in einen bestimmten Arbeitskontext passt. Dafür sind Kontakte und Leute, die über einen Auskunft geben können, aus nachvollziehbaren Gründen wichtig – da ist nichts Böses dabei. Heute versuchen die Menschen allerdings verzweifelter, Vorteile für sich zu ergattern und künstliche Netzwerke zu knüpfen.“

Dies geschieht dort, wo man sich in seiner Branche eben so trifft: auf Empfängen, Messen oder Partys, bei Premieren und Vernissagen; immer häufiger – und ein wenig stressfreier – auch elektronisch. Sitzt man vor dem E-Mail-Programm und überlegt, bei wem man sich unbedingt mal wieder melden müsste, damit die Karriere langsam mal an- und nicht im Sand verläuft, werden elektronische Botschaften verfasst, in denen man nach kurzem Geplänkel über Befinden und Wetterlage auf die aktuelle Arbeitssituation hinweist. „Ich bin top qualifiziert und hätte gerade ganz viel Zeit.“

Die Kür des Netzwerkers ist der Besuch am Arbeitsplatz der potenziellen Auftraggeber. Besonders ehemaligen Praktikanten und praktizierenden Prekären wird geraten, Kontakte auf diese Weise zu erhalten. Doch das „Sich-blicken-Lassen“ oder „Mal-wieder-Vorbeischauen“ ist in der Realität – machen wir uns mal nichts vor – ein linkisches Herumstehen vor Schreibtischen. Nicht selten wird der willige Netzwerker mit den Worten begrüßt: „Ich hab grad wahhhn-sin-nig viel zu tun!“ – und hilflos vor dem Schreibtisch stehengelassen. Den letzten Rest Würde wahrend, trollt er sich mit schwitzigen Händen und einem gewollt lässig rausgenuschelten „Ich war eh grad in der Nähe“.

Neben der Fähigkeit zum höflich-gewitzt-lässigen Smalltalk, einer E-Mail-Adresse, einem guten Gedächtnis für Namen und Gesichter sowie einer gewissen Skrupellosigkeit, wenn es darum geht, fremde Menschen anzusprechen, braucht der moderne Netzwerker also Fingerspitzengefühl, damit das Ansprechen nicht allzu plump geschieht. Am allerwichtigsten jedoch ist: Er darf keine Hemmungen vor Selbsterniedrigung haben. Oder andersrum: Er muss ein überdimensionales Selbstbewusstsein haben und die Fähigkeit, das durch fehlgeschlagene Netzwerkversuche geknickte schnell wieder aufzurichten. Sonst hält man das nämlich nicht aus.

Es gibt natürlich Ausnahmen. Ein junger Münchner Regisseur beschreibt Netzwerken als „Gesellschaftsspiel, das aber nur funktioniert, wenn ich nicht unbedingtdarauf angewiesen bin.“ Das Ansprechen der richtig wichtigen Leute vom Fernsehredakteur bis zum Chef der Filmförderung vergleicht er mit einer Partie Monopoly. „Die Turmstraße wird erst mal am Buffet stehengelassen, davor kommen die kleineren dran.“ Sein Tipp für männliche Mittzwanziger bis Mittdreißiger: „Wenn der Kontakt eine Frau über 40 ist: Flirten! Zieht immer.“

Etwas seriösere, aber unfreiwillig komische Ratschläge gibt das Internet-Job-Portal Stepstone, das Netzwerken als „Kunst des Gebens und Nehmens“ proklamiert. Neben den üblichen Tipps – Netzwerke müsse man aufbauen, bevor man sie braucht, und sich auch dann melden, wenn’s gerade gut läuft – erklärt uns Stepstone, wie der Idealnetzwerker bei einem Messebesuch funktioniert. Stellen wir uns das Szenario mal vor. Es ist Popkomm oder Buchmesse, und wir möchten den hippen Verleger, den geschätzten Kollegen vom Musikmagazin X oder den Personalchef der Agentur mit dem besten Style auf uns aufmerksam machen, weil wir als freie Lektoren, Musikjournalisten oder Grafiker arbeiten. Der Idealnetzwerker, so Stepstone, „fühlt sich wohl in seinem Business-Outfit und hat neben Kurzbewerbungen reichlich Visitenkarten dabei.“ Das zumindest dürfte ihn von uns unterscheiden. Warum sieht man selbst in Bluse und Sakko unmöglich und verkleidet aus? Gibt es einen Volkshochschulkurs, in dem man 1. das Tragen eines Business-Outfits erlernen und 2. üben kann, sich darin wohlzufühlen? Und was bitte soll auf den Visitenkarten stehen: Freiberufler? Prekärer? Eventmanager (zurzeit arbeitslos)? Wie auch immer: „Im Grunde freut er sich darauf, viele interessante und einflussreiche Menschen zu treffen.“ Der einigermaßen normale, echte Mensch freut sich eher nicht auf Menschenansammlungen von Machthabern voller Smalltalk-Fallen. Es sei denn, die Tagesverfassung ist durch illegale Substanzen getunt. Er fühlt sich eher so, wie die Berliner Band Britta auf ihrem letzten Album singt: „Und alle unsere Geistesgaben / kommen gar nicht mehr zum Tragen / Weil wir schon seit jungen Tagen / so gar keinen Ehrgeiz haben / Unsere Haut zu Markt zu tragen.“ Doch Stepstone weiß auch um die Ängste der Netzwerker. So solle man sich „nicht unnötig selbst unter Druck setzen und nicht schon gleich im Eröffnungssatz von sich erwarten, überaus intelligent und originell zu sein.“ Und macht einen Vorschlag für den richtigen Gesprächseinstieg: „Ist es nicht großartig, zu sehen, wie viele innovative Ideen auf dieser Messe vorgestellt werden?“

Sehen wir den Tatsachen ins Auge. Netzwerken ist vor allem eins: schrecklich. Aber scheinbar notwendig. Etwa ein Viertel der Jobsuchenden findet heute mit Hilfe von Netzwerken Arbeit, viele freie Stellen tauchen erst gar nicht im Stellenmarkt der Tageszeitungen auf, sondern werden über Verbindungen besetzt. Böse Zungen nennen das Seilschaft, Vetternwirtschaft oder Patronage. Man muss also netzwerken, wenn man es zu etwas bringen will. Bedeutet das auch, zu Leuten nett zu sein, die man eigentlich nicht mag? Martin Diewald sagt Ja und Nein: „Zum Beruf gehört eine professionelle Freundlichkeit im positiven Sinne, das muss nicht gleich ein Um-den-Bart-Streichen sein. Manche Leute versuchen sicher, zu ihnen unsympathischen Menschen freundlich zu sein, wenn sie sich davon Vorteile versprechen. Das ist allerdings riskant und schwer durchzuhalten. Und es ist ja auch nicht so, dass die Leute blöd sind und das nicht durchschauen.“

Er rät zum Runterschalten. „Man sollte sich schon aktiv darum bemühen, Kontakte zu knüpfen. Und auf Leute zugehen. Allerdings – und da sind diese ganzen Tipps sehr fragwürdig –, man darf’s auch nicht übertreiben. Aber sich dezent in Erinnerung zu bringen, das ist sicherlich gut.“ Also: natürlich sein und Instinkte anschalten. Das beste Netzwerk ist eins, das von ganz allein entsteht. Weil die Vorstellungen von der Arbeit zueinander passen, die Chemie stimmt und alles plötzlich ganz einfach geht. Und dann ist auch Smalltalk nicht mehr schlimm, denn er wird zum netten Gespräch mit ein, zwei, drei, vier Bieren, und vor dem Schreibtisch steht man auch nicht mehr ganz so dumm herum. Oder wir lassen das ganze Job-Netzwerken und machen das, worauf wir wirklich Lust haben: eine Band gründen und Lieder singen wie die von Britta: „Andere spielen Büro, Büro / Projekt-Projekte sowieso / … / Ich bin ich / Ich bin keine AG / Ich bin Privatier.“