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Archiv-Artikel

Letzte Chance für Nordirland

Britische und irische Regierung legen neue Vorschläge für eine Wiederbelebung der Autonomieregierung in Belfast vor. Verhandlungen in Schottland stocken allerdings

DUBLIN taz ■ Die Lösung des politischen Konflikts in Nordirland schien im vergangenen Jahrzehnt schon öfter greifbar nahe. Diesmal soll nun der Durchbruch gelingen, hofft der britische Premierminister Tony Blair. Er legte gestern gemeinsam mit seinem irischen Amtskollegen Bertie Ahern nach dreitägigen Verhandlungen im schottischen St. Andrews einen Plan vor. Der sieht eine Zug-um-Zug-Strategie vor, um die strittigen Punkte zu lösen.

Der wichtigste ist die Polizeiaufsichtsbehörde, die von Sinn Féin („Wir selbst“), dem politischen Flügel der Irisch-Republikanischen Armee (IRA), bisher boykottiert wird. Es ist ein sensibles Thema für die Partei. Die Polizei war während des Konflikts nie neutral, 93 Prozent der Beamten waren Protestanten, von denen viele gleichzeitig Mitglieder in protestantischen Milizen waren. Inzwischen sind ein Fünftel der Polizisten Katholiken.

Sinn Féin soll nun ihre Unterstützung für die Polizei erklären. Im Gegenzug sollen der Protestantenpfarrer Ian Paisley und seine Democratic Unionist Party (DUP) der Bildung eines Schattenkabinetts zustimmen, in dem er selbst Premierminister und der Sinn-Féin-Vize Martin McGuinness sein Stellvertreter wird. Dieses Kabinett nimmt erst dann die Arbeit auf, wenn der Parteitag von Sinn Féin die Mitarbeit in der Polizeibehörde bestätigt hat.

Ein anderes umstrittenes Thema ist die von Sinn Féin geforderte Amnestie für flüchtige IRA-Mitglieder, die für Paisley nicht in Frage kommt. Dabei gibt es die IRA offiziell gar nicht mehr, sie hat voriges Jahr ihre Waffen ausgemustert. Vorige Woche erklärte die Internationale Abrüstungskommission, dass die militärischen Strukturen der IRA aufgelöst seien und die Organisation auch der Kriminalität abgeschworen habe.

Der Plan von Tony Blair und Bertie Ahern spiegelt nach Ansicht des irischen Außenministers Dermot Ahern die „bestmöglichen Einschätzungen“ für eine Einigung wider. Blair hat den Parteien nun bis 24. November Zeit gegeben, sich zu einigen. Steht die Regierung bis dahin nicht, wird Nordirlands Parlament endgültig aufgelöst, die Abgeordnetendiäten werden gestoppt und die nordirischen Wahlen im Mai 2007 abgesagt. Nordirland würde dann auf unabsehbare Zeit direkt aus London regiert, wie es bereits seit vier Jahren geschieht. 2002 wurden Regierung und Regionalparlament in Belfast suspendiert, weil die Polizei im Büro von Sinn Féin angebliches Spionagematerial gefunden hatte.

Blair würde gerne eine dauerhafte Lösung in Nordirland herbeiführen, damit sein politisches Vermächtnis nach seinem Rücktritt im nächsten Jahr nicht vom Irak-Debakel dominiert wird. Doch für Paisley hat sich die unnachgiebige Haltung bisher ausgezahlt: Bei den Wahlen voriges Jahr wurde die DUP zur stärksten Partei. Der 81-jährige Pfarrer muss sich nun entscheiden, ob er nordirischer Premierminister werden und den Unmut seiner Basis riskieren oder ob er seinem Ruf als „Dr. No“ treu bleiben möchte. Um sicher zu gehen, will sich Paisley jede Vereinbarungen in einem Referendum absegnen lassen. Sollte das Volk zustimmen, könnte die Regierung im Frühjahr die Arbeit aufnehmen. RALF SOTSCHECK