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Archiv-Artikel

„Mehr Verständnis nötig“

INTEGRATION Zum ersten Integrationsgipfel nach der Sarrazin-Debatte ist auch die Berliner Unternehmerin Nare Yesilyurt-Karakurt eingeladen. Sie hat den Exbundesbankvorstand wegen seiner Thesen angezeigt

Nare Yesilyurt-Karakurt

■ 42, gründete 1999 den Hauspflegedienst Deta-Med in Berlin. Heute hat die alleinerziehende Türkin, die als Dreijährige nach Deutschland kam, 230 Beschäftigte.

taz: Frau Yesilyurt, Sie haben mit anderen Migranten Anzeige gegen Thilo Sarrazin erstattet. Wurden Sie deshalb zum Integrationsgipfel geladen?

Nare Yesilyurt-Karakurt: Nein, da gibt es überhaupt keinen Zusammenhang. Ich wurde eingeladen, weil ich den zweiten Preis als Berliner Unternehmerin des Jahres 2010 bekommen habe.

Erklären Sie bitte trotzdem kurz: Warum die Anzeige?

Sarrazins Thesen sind volksverhetzend. Er betreibt Stimmungsmache, die zur Spaltung der Gesellschaft führt. Wenn er berühmt werden oder Geld machen will – bitte. Aber nicht auf Kosten von uns Migranten und indem er unsere Menschenwürde und Rechte missachtet.

Trotzdem sagen Sie, Sie seien froh über die Debatte, die Sarrazin ausgelöst hat?

Ja, denn viel zu lange wurde über Integration gar nicht gesprochen. Wir dürfen nicht vergessen, mit welchen Voraussetzungen die Migranten einst nach Deutschland gekommen sind. Integration war anfangs von beiden Seiten weder geplant noch gewollt. Doch schon in den Achtzigerjahren hat sich das anders entwickelt: Der größte Teil der Gastarbeiter blieb hier. Damals hätten wir anfangen müssen, uns mit Integration zu befassen.

Sie kamen Anfang der Siebzigerjahre als Dreijährige nach Deutschland. Wie sind Ihre Erfahrungen mit Integration?

Ich wurde nicht integriert, im Gegenteil: Ich wurde behindert – etwa indem ich zur Hauptschule geschickt wurde, obwohl mich meine Eltern auf der Realschule angemeldet hatten. So ging es damals vielen Migrantenkindern. Wir wurden nicht fair behandelt. Ich habe mir alles erkämpft, bis hin zum Studium auf dem zweiten Bildungsweg.

Heute sind Sie als Chefin eines Unternehmens mit 230 MitarbeiterInnen ein Beispiel für erfolgreiche Integration.

Ich gebe in meinem Unternehmen Frauen, auch sogenannten Importbräuten, die Chance, sich aus der Abhängigkeit von ihren Ehemännern zu befreien. Ich schicke sie zu Deutschkursen und ermögliche ihnen, die dreijährige Ausbildung zur Pflegerin zu machen. Das alles finanziere ich allein, aus Firmengeldern. Trotzdem muss ich gegen Vorurteile kämpfen: Mein Betrieb wurde in den vergangenen fünf Jahren zwölfmal von der Krankenkasse geprüft. Als Vorstandsmitglied im Bundesverband ambulante und stationäre Pflege weiß ich, dass andere in der gleichen Zeit einmal geprüft wurden. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Es sind Vorurteile mir gegenüber als ausländischer Unternehmerin.

Wie ist die Lage der Menschen, die Sie pflegen?

Unsere Patienten gehören zur ersten Gastarbeitergeneration, viele sind schwer krank. Auch das ist Folge von Ungleichbehandlung: Anders als deutsche Patienten durften Gastarbeiter nach schweren Operationen früher nicht zu Rehabilitationskuren. Deshalb sind sie heute krank.

Was versprechen Sie sich vom Integrationsgipfel?

Wir brauchen mehr gegenseitiges Verständnis, um Integration gut zu gestalten. Die Deutschen müssen mehr Verständnis für die Einwanderer haben. Und auch die Deutschen müssen Integration wirklich wollen.

INTERVIEW: ALKE WIERTH