: Strapazen aus der Stilblütenfibel
Nur die Reproduktion alter Klischees von entindividualisierten Menschenmonstern: Matthias Huhn fährt im Studio des Maxim-Gorki-Theaters die Differenzierungsstufe von Dea Lohers grob geschnitztem Stück „War Zone“ endgültig in den Minusbereich
VON ESTHER SLEVOGT
Ist das alles niedlich hier, im Studio des Maxim-Gorki-Theaters! Die Zuschauer dürfen auf großen Bauklötzen sitzen, wo sechs Darsteller bereits allerliebst posieren. Sie tragen Reflektorwesten, die unter dem schönen Namen „Patrull“ ansonsten zur Produktpalette eines schwedischen Möbelhauses gehören, das auch noch mit schrillgrünen Blättern aus Regenschirmstoff zum Bühnenbild von Michael Graessner beitragen darf. Die sechs gelb leuchtenden Gestalten, nach Theaterangaben Laiendarsteller, die man hier offensichtlich gerade der Bitte des Hauses nachkommen sieht, „tanzend von ihren Erfahrungen zu erzählen“, stehen lustig wippend unter diesen Plastikblättern, machen alberne Gesichter und geben seltsame Piepgeräusche von sich. Weil aber das Stück, um dessen Uraufführung es sich hier handelt, „War Zone“ heißt, muss man davon ausgehen, dass diese neckische Biene-Maja-Ouvertüre aus der Ikea-Kinderwelt nur der bescheidene Auftakt zu Katastrophen weit größeren Ausmaßes ist.
Die Verfasserin des aus fünf kurzen monologischen Textblöcken bestehenden Dramas heißt Dea Loher und bekam in diesem Jahr von der Stadt Augsburg den Bertolt-Brecht-Preis zuerkannt, anlässlich dessen Verleihung sie eine bemerkenswerte Rede hielt. Darin sprach sie über Erfahrungen, die sie in Kabul während eines Theaterworkshops des Goethe-Instituts mit afghanischen Studenten gemacht hatte. Eine Erfahrung, die sie auch deswegen als radikal empfand, weil ihr angesichts der Übermacht von Wirklichkeit plötzlich Literaturproduktion insgesamt fragwürdig erschien. Weil ihr der Aufenthalt die Erfahrung erschloss, dass Sprache den Menschen auch verloren gehen kann. In diese Erfahrung schloss die Dramatikerin auch traumatisierte Soldaten mit ein.
Die drei Theatersoldaten, denen wir dann in Matthias Huhns Inszenierung alsbald gegenüberstehen, sind dann aber noch nicht einmal in Ansätzen von diesen Erkenntnissen berührt. Sie reden zwar von Erfahrungen jenseits des Sagbaren, doch es bleiben Phrasen. Die Schauspieler Ingolf Müller-Beck, Felix von Hugo und Frank Wiegard stehen mit starren Gesichtern als Kampf- und Sprachautomaten da, von Keria Schreiber in graue Sträflingskluft gewandet. Sie reproduzieren alte Klischees von entindividualisierten Menschenmonstern, die nicht so sehr von dem Versuch einer Autorin erzählen, Erfahrungen zu gestalten, sondern eher von dem Wunsch, auch mal so schöne blutrünstige Dramen wie Heiner Müller zu schreiben.
In einer anderen Szene berichtet eine Kriegsfotografin (Anika Baumann) in gekünsteltem Literaturdeutsch, wie sie, überwältigt vom Unglück eines Kriegsopfers im Kosovo, plötzlich nicht mehr ihren Dienst versehen kann. Stumm vergewaltigen Soldaten in einer stilisierten Szene eine Frau. Zwischendurch dürfen die drei Soldatendarsteller auch noch mal einige rohe Texte sprechen, die sie als israelische Soldaten erkennbar werden lassen; erschlägt eine bosnische Flüchtlingsfrau ihre Mutter, um wenigstens ihre Kinder zu retten. Alles ist schon im Stück selbst recht grob geschnitzt. Die Inszenierung fährt die Differenzierungsstufe dann restlos in den Minusbereich.
Zwischen den Szenen treten immer wieder die albernen Zivilisten mit wunderlichen Choreografien in Erscheinung und geben ein Bild des Friedens, das noch menschenverachtender ist als das Bild des Krieges, das „War Zone“ hier vermitteln will – hüpfen mal als dämliche Salsatänzer herum und verhöhnen damit das Freizeitvergnügen normaler Bürger, denen das Goethe-Institut keine Afghanistanreisen sponsert. Oder spielen Tiger und Trickfilmbienen, bis man sich fragt, worin eigentlich genau die Erfahrungen bestehen, die hier von „Menschen der Stadt“ getanzt werden sollen.
Am Ende kommt noch mal ein garstiges Mädchen (Ellen Schlootz) auf einem Sandhaufen zu Wort, das man dort schon die ganze Zeit immer wieder mal sein Spielzeug zerstören sah. „Fluch der Hure des Soldaten“ ist dieser letzte Akt überschrieben, aus dem die epigonalen Sprachbilder nur so triefen und dessen überstrapaziertes Pathos gelegentlich den Eindruck macht, als seien wesentliche Passagen einer Stilblütenfibel entnommen.
Weitere Vorstellungen: 19., 24. und 29. Oktober, 20 Uhr