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: Grimmiger Wille zur Grobheit

„Walhalla Rising“, Regie: Nikolas Winding Refn, Dänemark/Großbritannien 2009. Für rund 13 Euro im Handel

Narben und Striemen, Schrammen und unlesbare Schrift: Der Körper des Einäugigen (Mads Mikkelsen) sieht aus, als wäre er nur mit knapper Not Kafkas mörderischer Schreibapparatur aus der „Strafkolonie“ entronnen. Wenn Kafka der Regen wäre, wäre Nicolas Winding Refns halluziniertes Mittelalter freilich die Traufe.

Ein Gefangener, ein Wilder, ein Sprachloser ist zu Beginn des Films dieser einäugige Mann. Wikinger halten ihn in einem Holzkäfig, ein kleiner Junge gibt ihm zu essen. Das rohe Wikingervolk delektiert sich an des Einäugigen gladiatorischer Kampfkunst im Schlamm: auf der Tonspur krachen die Knochen, schlägt dumpf Fleisch auf Fleisch im Faustkampf. Mit einem genüsslich in den Vordergrund gespielten Krrks geht per Strickzug dann ein Genick zu Bruch.

Wind weht, auf niedrigster Stufe brodelnde (später steigerungsfähige) Metal-Anmutungen dräuen zum Nebel der Bilder der Hochebenenlandschaft. „Walhalla Rising“ setzt die Betrachterin und den Betrachter einfach aus, von Anfang an, in einer brutal diesigen, jenseits aller Erklärungen gelegenen, zeitlich und räumlich kaum verortbaren Welt. Kapitelüberschriften strukturieren als ganz große Hausnummern das blutige, matschige, meist wortlose Geschehen: Zorn, Stummer Krieger, Männer Gottes, Das Heilige Land, Hölle, Opferung.

Auf Ironiesignale warten die Kämpfer wie die Zuschauer sehr vergeblich. Stattdessen blutgetränkte Visionen, Pfeilregen von Schlammindianern, christliche Zeichen, Aufbruch zum Kreuzzug und Ankunft in einem Heiligen Land, das an Terrence Malicks „The New World“ oder auch an Mittelerde gemahnt.

Die Kamera zittert leicht, spricht mal blutrot im Futur, meist im Präsens, schleicht und verharrt in Anbetungshaltung vor gegen wolkenzerzauste Himmel gemeißelten Kämpferkörperfigurationen. Mal zu Lande, dann sehr eindrucksvoll im rötlichen Traumnebel auch zu Wasser, assoziiert und deliriert sich der Film durch abendländische Bildtraditionen des Rohen sehr viel mehr als des Gekochten.

Die Körper der Kämpfer

Die in Bild und Klang heraufgerufene Welt ist reines, dreist in die Landschaften gesetztes Phantasma. Für Bodenhaftung der anderen Art sorgen die Gewalt und das spritzende Blut und der Schlamm auf den Körpern der Kämpfer im Namen des Herrn.

Kaum mehr als reiner Körper ist Mads Mikkelsens einäugiger Streiter. Gerade als solcher aber taugt er zum Opfer und im Opfer zur totalen Sakralisierung: am Ende kommt es zu einer Art Auferstehung als felsgleich die halbe Leinwand füllende Christusversion: jesusmäßiger Wikingerhäuptling. Jenseitig wie als Ganzes der Film.

Einerseits ist „Walhalla Rising“ in seinen symbolischen und religiösen und mythischen und überhaupt seinen filmischen Darstellungs-Registern zweifellos schwer durcheinander. Der Film baut mit der linken Hand (eher: Faust) die christlichen Mythen wieder auf, die er mit der rechten zuvor mit schöner Wucht einriss. Andererseits macht der grimmige Wille zur Grobheit doch staunen. Hier zieht einer was durch, von dem man nicht sagen kann, was es ist. „Walhalla Rising“ siedelt jenseits üblicher Kategorien und ist, falls nicht doch grandios, mindestens zu allem entschlossener höherer Blödsinn. EKKEHARD KNÖRER