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Archiv-Artikel

Kein harmloser Schulstreich

Staatsanwaltschaft in Sachsen-Anhalt ermittelt wegen Volksverhetzung: Ein Schüler musste ein antisemitisches Plakat tragen. Der Spruch stammt aus dem Unterricht

DRESDEN taz ■ Ein antisemitischer Vorfall an einer Schule im Kreis Jerichower Land bringt das Land Sachsen-Anhalt erneut in Verruf. Wie am Freitag bekannt wurde, zwangen in Parey drei Schüler im Alter von 15 und 16 Jahren einen Mitschüler, ein Schild um den Hals zu tragen mit der Aufschrift: „Ich bin im Ort das größte Schwein, ich lass mich nur mit Juden ein!“

Damit musste er über den Schulhof laufen, bevor eine Lehrerin die Polizei rief. An derselben Schule gab es nach Angaben des Landesamtes für Verfassungsschutz im Vorjahr einen rassistischen Übergriff. Ein libanesischer Mitschüler war als „Döner-Ali“ beschimpft und eine brennende Zigarette an seinem Hals ausgedrückt worden.

Die Staatsanwaltschaft Stendal nahm im aktuellen Fall inzwischen Ermittlungen wegen des Verdachts auf Volksverhetzung, Nötigung und Beleidigung auf. Nach teils widersprüchlichen Angaben bestehen seit längerer Zeit Animositäten zwischen dem Opfer und den drei Tätern. Sie sind der Polizei als Sympathisanten der rechten Szene bekannt, der Geschmähte wiederum war äußerlich als Punk identifizierbar. Als er plötzlich kahl geschoren und mit Springerstiefeln erschien, fühlten sich die Täter provoziert.

Ihren judenfeindlichen Spruch entnahmen sie offensichtlich einem Geschichtsbuch oder einem Dokumentationsbericht über die Judenverfolgung während der Nazizeit. Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Wolfgang Böhmer (CDU) schließt daraus, „dass sie wussten, was sie taten, und dass eigentlich die innere Hemmschwelle verloren gegangen sein muss“. Deshalb sei die Tat auch kein Dumme-Jungen-Streich, sondern „ein Zeichen für unterschwelligen Rechtsradikalismus in der Gesellschaft“.

Von einem solchen Streich noch nicht bewusst agierender junger Leute hatte der ostdeutsche Theologe und ehemalige Wende-Aktivist Richard Schröder (SPD) gesprochen. Die Linkspartei im Magdeburger Landtag verlangte umgehend eine bessere Unterstützung aller Kräfte, die „gegen den braunen Ungeist in den Köpfen“ angingen. Die Bundesprogramme gegen Rechtsextremismus müssten fortgeführt werden. Die Grünen forderten ein „abgestimmtes und finanziell hinterfüttertes Vorgehen des Landes“. Heike Kleffner von der Mobilen Opferberatung Magdeburg wies angesichts der sich häufenden rassistischen Vorfälle an Schulen darauf hin, dass es auf eine klare Positionierung der Lehrer ankomme. Das sei nicht immer der Fall.

Innenminister Holger Hövelmann (SPD) hatte Mitte September bereits eingeräumt, die Situation in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt unterscheide sich nur graduell und sei im Hinblick auf rassistische Gewalttaten sogar dramatischer. In Sachsen-Anhalt werden im Bundesvergleich die meisten rechtsextremistischen Straftaten verübt. Nach Meinung von Kleffner ist dies auch auf eine langjährige Verharmlosung des Themas zurückzuführen. MICHAEL BARTSCH