: Wie der Knast ins KZ kam
Vor 25 Jahren ist die erste Ausstellung im Konzentrationslager Neuengamme eröffnet worden. Nach dem Krieg wurden auf dem Gelände zwei Gefängnisse gebaut. Nach jahrelangem Kampf wird jetzt das Letzte abgerissen
VON GERNOT KNÖDLER
Der Übergang vom KZ zum Knast vollzog sich mit den besten Absichten: „Der Erwerb des Lagers Neuengamme ist für die Gefängnisbehörde ein großer Gewinn“, heißt es in einer Vorlage des Senats vom Juli 1949. Das ehemalige Konzentrationslager biete die Möglichkeit, einen modernen, offenen Strafvollzug einzurichten. Der Senat möge daher 450.000 Mark für den Bau eines neuen Gefängnisses auf dem Gelände bereit stellen. Zusammen mit der Eigenleistung der Gefangenen werde die Summe wohl reichen.
Dass auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Menschen in Haft saßen, war den KZ-Überlebenden jahrzehntelang ein Dorn im Auge. Morgen soll endlich mit dem Abriss des letzten Gefängnisses auf dem Gelände begonnen werden. Hamburgs Justizsenator Carsten Lüdemann (CDU) hat sich dafür einen historischen Tag ausgesucht: Vor 25 Jahren ist in Neuengamme die erste Ausstellung über das KZ eröffnet worden. Sie war die Keimzelle einer Gedenkstätte mit Ausstellung, Dokumentationszentrum und Bibliothek, die von 60.000 Menschen im Jahr besucht wird.
Die Zahl ist der Bedeutung des Ortes in der ländlichen Peripherie Hamburgs angemessen, denn das 1938 eingerichtete KZ Neuengamme war das größte auf deutschem Boden und Zentrum eines Lagersystems in ganz Norddeutschland. Bis Mai 1945 wurden hier 55.000 Menschen ermordet.
Max Pauly, Lagerkommandant ab August 1942 beschrieb seinen „Wirkungskreis“ so: „Mein Gebiet geht bis Magdeburg, Salzgitter, Minden, Osnabrück, Meppen, Aurich, Wilhelmshafen und dann bis zur dänischen Grenze. Der letzte Stützpunkt nach Osten ist Wittenberge. Ich freue mich, dass ich durch diesen riesigen Arbeitsbereich voll ausgelastet bin. Ich könnte sonst keine innere Befriedigung finden.“
Als die Britische Armee Anfang Mai 1945 das Lager erreichte, war von dem, was sich hier abgespielt hatte kaum mehr etwas zu sehen. Zwar fand sie Häftlingsbaracken, eine Waffenfabrik und eine große Ziegelei. Die ausgehungerten Häftlinge jedoch hatte die SS in mörderischen Märschen evakuiert. Ein Räumkommando entfernte die Folterinstrumente, säuberte die Baracken und beseitigte die Akten.
Es gab keine Leichenberge wie in Bergen-Belsen, was es den Briten erleichtert haben mag, aus dem ehemaligen KZ ein Internierungslager für Funktionäre des Dritten Reiches zu machen. 1948 übergab die Besatzungsmacht das Lager an den Senat, der es nutzte, um seine überfüllten Gefängnisse zu entlasten.
Den Neubau auf dem KZ-Gelände begründete der Senat so: „Wenn Hamburg Wert darauf legt, den Weg des Strafvollzuges fortschrittlich weiterzuentwickeln, so bedarf es einer weiteren Anstalt, die als so genannte offene Anstalt, draußen vor den Toren Hamburgs gelegen, in der Lage ist, eine größere Anzahl Gefangener aufzunehmen.“
Nicht einmal der KPD-Abgeordnete Johann Westphal fand das problematisch. Er forderte lediglich, an den modernen Strafvollzug anzuknüpfen, der von den Nazis kaputt geschlagen worden sei. „Solange wir keine menschenwürdigen Verhältnisse, die durch den Nazismus in diesen Häusern vernichtet worden sind, haben, solang haben wir kein Recht, auch noch einen einzusperren“, sagte er in der Bürgerschaft.
Auch die SPD stellte die bessere Unterbringung der Gefangenen in den Vordergrund. „Wir stimmen dieser Vorlage zu und freuen uns, dass die Gefängnisverwaltung in Neuengamme endlich beginnt, diese unleidlichen Holzbaracken verschwinden zu lassen.“
Der Wunsch des Verschwindenlassens war eine besondere Note dieser Modernisierungsbemühungen. „Das Schandmal der Vergangenheit möge ausgelöscht werden und Neuengamme uns eine Verpflichtung zur Wiedergutmachung bedeuten, die wir willig übernehmen, um aus dieser Anstalt nunmehr eine vorbildliche Anstalt der Menschlichkeit und des modernen Strafvollzuges zu schaffen“, schrieb ein Oberlandesgerichtsrat Buhl 1947 an den Senat.
Und Hamburgs Erster Bürgermeister Max Brauer lehnte 1951 die Bitte ehemaliger Häftlinge, das KZ-Krematorium besuchen zu dürfen ab: Die „Schaffung einer Wallfahrtstätte“ würde den Gefängnisbetrieb beeinträchtigen, schrieb der SPD-Mann. Die Überlebenden sollten nicht mehr „an alten Wunden“ rühren und versuchen, „die furchtbaren Entsetzlichkeiten der vergangenen Epoche allmählich aus der lebendigen Erinnerung auszulöschen“.
Dagegen haben die Überlebenden gekämpft und Schritt für Schritt dem Gedächtnis Raum verschafft. 1953 wurde eine Muschelkalksäule mit der Inschrift „Den Opfern 1938 bis 1945“ errichtet. 1965 wurde ein Mahnmahl aus einer Stele, einer Gedenkmauer und der Skulptur eines sterbenden Häftlings geschaffen. Weitere 16 Jahre später wurde diese Gedenkstätte um einen „Lernort“, wie ihn die Gedenkstättenverwaltung nennt, erweitert: In einem schwarzen Würfel wurde ein Dokumentenraum eingerichtet.
Bei der letzten Umgestaltung zum 60. Jahrestag des Kriegsendes im vergangen Jahr, verwandelte sich dieser Würfel in ein „Haus des Gedenkens“. Auf Stoffbahnen, die von den Wänden hängen, sind die Namen aller dokumentierten Opfer Neuengammes verzeichnet. Rund 22.500 sind es zurzeit. Nach dem Abriss des ersten Gefängnisses 2003 wurden die Umrisse der ehemaligen Baracken und des Lagerzaunes wieder sichtbar gemacht und zwei Ausstellungen eingerichtet.
Zum Jubiläum wird Senator Lüdemann morgen um 10.30 Uhr symbolisch mit dem Abriss des letzten Gefängnisses beginnen. Um zwölf und um 14 Uhr beginnen Sonderführungen über den „Lernort KZ-Gedenkstätte Neuengamme“. Zum Thema werden auch Dokumentarfilme gezeigt. Ab 18 Uhr lädt Kultursenatorin Karin von Welck (CDU) zu einer Podiumsdiskussion ins Rathaus, bei dem die Zukunft der Erinnerungskultur in Deutschland erörtert werden soll.