„Sozialhilfefamilien in der dritten Generation“

In Wohngebieten wie dem Falkenhagener Feld in Spandau ist die Ausweglosigkeit der sogenannten Unterschicht tagtäglich spürbar. Die Stadtplanerin Veronika Zimmer fordert massive Unterstützung durch die Politik

taz: Frau Zimmer, Sie leiten das Quartiersmanagement im Spandauer Wohngebiet Falkenhagener Feld Ost. Gibt es dort eine neue Unterschicht?

Veronika Zimmer: Ich meine, ja, zumindest in dem Ausmaß, wie es auch in der Studie der Friedrich-Ebert Stiftung beschrieben wird. Ich würde es aber nicht als Unterschicht, sondern als Gruppe benachteiligter Menschen bezeichnen.

Was konkret ist neu?

Im Unterschied zu den 70er-Jahren gibt es zunehmend Familienkarrieren, wo Kinder aus Sozialhilfefamilien selbst in der dritten Generation keine Vorbilder mehr erleben. Sie sehen für sich keine Zukunft in dieser Gesellschaft, können keine Ziele entwickeln, geschweige denn, dass sie einen sozialen Aufstieg machen können.

Wie wirkt sich das aus?

Für junge Mädchen besteht die Perspektive zunehmend darin, Mutter zu werden, weil sie keine Chance sehen, einen befriedigenden Arbeitsplatz zu finden. Das ist nicht nur im Osten der Bundesrepublik, sondern auch in Berlin ein zunehmendes Phänomen. Immer mehr Kinder erleben, dass ihre Eltern keine Chance auf dem Arbeitsmarkt haben, egal wie viel Mühe sie sich geben. Das hat auch mit dem technischen Fortschritt zu tun. Selbst bei Berufen wie Automechaniker werden an die Beschäftigten Anforderungen gestellt, die Ungelernte nicht erfüllen können. In unserem Bildungssystem ist unglaublich viel verpasst worden.

Sind von diesen Problemen speziell Migranten betroffen?

Nein. Es ist natürlich auch ein migrantisches Problem. Es ist aber auch ein Problem von vielen Deutschen, die nicht die entsprechende Förderung erfahren.

Kann Quartiersmanagement da noch etwas ausrichten?

Natürlich. Wir versuchen es auf jeden Fall. Wir arbeiten ganz intensiv mit den Kitas und Schulen zusammen, damit die Kinder und Jugendlichen besser gefördert werden. Das geht aber nur, wenn es uns gelingt, die Eltern mitzunehmen. Viele Mütter und Väter sind überhaupt nicht mehr erziehungsfähig. Das hat auch die letzte Shell-Studie gezeigt

Die Eltern haben resigniert?

Sie sehen für sich keine positive Perspektive. Das führt dazu, dass die Kinder vernachlässigt beziehungsweise nicht gefördert werden.

Wie erleben die Betroffenen Politik?

Sie fühlen sich von der Politik vollkommen allein gelassen. Sie finden sich in der Politik nicht wieder, es sei denn in Richtungen, die wir als Demokraten überhaupt nicht wollen.

Könnte Politik mehr bewirken?

Politik könnte nicht nur, Politik müsste mehr tun. Politik müsste diesen Menschen ein positives Lebensbild zeigen und sie ganz massiv in der Frage Bildung und Ausbildung unterstützen.

Was halten Sie davon, die Zuständigkeit für die Quartiersmanagementgebiete in die Bezirke zu verlagern?

Wenn die Bezirke das Ganze als wesentliche politische Aufgabe ansehen, wäre es dort genauso sinnvoll angesiedelt wie bei der Senatsverwaltung. Letztere muss aber immer mit im Boot sein, weil sie eine Verantwortung für die ganze Stadt hat. Ich hoffe, durch die Studie der Ebert-Stiftung ist noch klarer als bisher geworden, dass wirklich Handlungsbedarf besteht. Es müssen ganz neue Perspektiven entwickelt und grundsätzlich andere Prioritäten bei der Vergabe von Fördermitteln gesetzt werden.

Interview: PLUTONIA PLARRE