: Neubausiedlung im Meer bleibt leer
Florida hat Millionen von Altreifen im Ozean versenkt – damit sich ein künstliches Riff entwickelt. Doch das Paradies für Fische ist ausgeblieben, und die Reifen zerstören nun die Wasserwelt. Nun sollen die Reifen für viel Geld geborgen werden
AUS WASHINGTON ADRIENNE WOLTERSDORF
Jetzt scheint die Idee verrückt, im Jahr 1972 wurde sie aber als ökologischer Lichtblick gefeiert: Freiwillige in 100 Motorbooten halfen, vor der Küste Floridas eine Million alter Autoreifen zu versenken. Aus den Reifen, so die Vision, würde ein Korallenriff erwachsen, in dem sich Fische wohl fühlen. Am Schluss flog noch ein Zeppelin des Reifenherstellers Goodyear herbei, die Mannschaft warf einen vergoldeten Reifen ab.
Statt eines Zackenbarsch-Paradieses liegt heute vor Fort Lauderdale eine Unterwasser-Müllhalde. Keine Fische, keine Korallen, nur eine leblose Gummiwüste, die sich über rund 14 Hektar Ozeanboden erstreckt. Die Reifen erweisen sich zudem als zerstörerisch: Mit den Gezeiten hämmern sie gegen Naturriffe in der Nachbarschaft.
„Es ist höllisch frustrierend“, sagt Ken Banks, ein für den zuständigen Broward-Kreis arbeitender Meeresforscher. Kürzlich erkundete er das Gebiet. „Wir schwammen so ungefähr eine Stunde, und die Reifen hörten nicht auf.“ Vor ihm hatte schon Robin Sherman, Meeresbiologin an der Nova Southeastern University, einen Rettungsversuch gestartet: Vor zwei Jahren sammelten ihre Studierenden die Reifen ein, die an den Naturriffs schrammten. Zwei Monate später, bei einem Kontrolltauchgang, „sah alles wieder genauso aus“, sagt sie – „Wir wussten nicht mehr, wo wir schon abgeräumt hatten.“
Nach Jahren der Bestandsaufnahme wollen die Verantwortlichen der Kreisverwaltung die Küste nun vom desaströsen Öko-Experiment befreien. In Kooperation mit Bundesbehörden und Kommunen sowie Umweltgruppen planen sie, militärische Rettungsmannschaften einzusetzen, die die Reifen-Aufsammel-Aktion als Tauchtraining nutzen wollen.
Der Staat hat sich verpflichtet, aus dem Meer gefischte Reifen zu vernichten. Das Ganze wird bis zu 5 Millionen Dollar (knapp 4 Millionen Euro) kosten, schätzen die Verantwortlichen. „In den vergangenen Jahrzehnten haben die Leute sich den Müll angeschaut und schließlich gesagt: ‚Das packen wir nicht‘ “, sagt Will Nuckols, Projetkoordinator für Coastal America, einer der beteiligten Organisationen.
Tatsächlich ist die Aufgabe gigantisch. Es ist leicht, etwas ins Wasser zu schmeißen, aber rausholen ist teuer. Jedes Tauchteam kann pro Woche gerade mal 700 Reifen schaffen, sodass die Aufräumaktion mehrere Jahre in Anspruch nehmen könnte – bei geschätzten 2 Millionen Reifen. 2008 soll es losgehen.
Die Idee, künstliche Riffe vor US-Küsten zu schaffen, stammt aus den 1830er-Jahren in North Carolina. Mit den Jahren wurden landesweit Felsen, Bäume, Beton und Schiffe als künstliche Korallenstätten versenkt. Die Idee, ein Gummiriff zu schaffen erhielt in den 1950er-Jahren Konjunktur, als der Autoboom viele Altreifen produzierte. Küstengemeinden in Texas, Kalifornien, Florida und North Carolina legten damit los, doch nirgendwo wurde so reingekippt wie vor Fort Lauderdale. Es sollte das größte Altreifen-Riff der Welt werden.
Damals seien alle enthusiastisch gewesen, sagt Ray Allister, emeritierter Professor für Meeresingenieur-Wissenschaften. Allister war einer der Initiatoren. „Es war ein schrecklicher Fehler, ich muss es zugeben“, sagt er heute. Seit 2004 sind Reifen-Riff-Projekte in den USA verboten.