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Archiv-Artikel

Lange Nachwehen einer Steuerreform

GRAUZONEN Der Bundesfinanzhof entscheidet über einen milliardenschweren Fall von Dividendenstripping zu Lasten der Steuerzahler, an dem Rot-Grün nicht ganz unbeteiligt war

HAMBURG taz | Banken haben ihren Kunden jahrelang beim Steuerhinterziehen geholfen und womöglich selbst illegal beim Fiskus abkassiert. In Dutzenden Fällen ermitteln deutsche Finanzämter und Staatsanwaltschaften gegen in- und ausländische Banken und Investmentfonds wegen mittlerweile verbotener Cum-Ex-Geschäfte zu Lasten des Steuerzahlers. Der Gesamtschaden durch dieses sogenannte Dividendenstripping könnte über 10 Milliarden Euro betragen. Am heutigen Mittwoch beginnt vor dem Bundesfinanzhof in München ein Verfahren. Geklärt werden soll, ob diese Steuergestaltung die Banken noch teuer zu stehen kommt.

Durch Cum-Ex-Deals haben Anleger für einmal gezahlte Kapitalertragsteuern doppelt Geld zurückbekommen. Mit Hilfe von Banken verkauften sie Aktien kurz vor der jährlichen Dividendenausschüttung (cum Dividende) und kauften sie kurz danach wieder zurück (ex Dividende). Über Leerverkäufe konnten sie zweimal Steuergutschriften entgegennehmen, die Aktionäre normalerweise erhalten, damit sie ihre Gewinne nicht doppelt versteuern müssen – eine Absicht, die damit ins Gegenteil verkehrt wurde. Möglich wurde das durch ein Steuerschlupfloch, das die rot-grüne Bundesregierung mit ihrer Reform der Unternehmensbesteuerung 2001 aufgerissen hat und das die damalige Große Koalition 2007 nur halbherzig abdichtete. Erst 2012 wurde das Steuerloch endgültig geschlossen.

Die umstrittene Praxis war bis dahin gang und gäbe. HypoVereinsbank, Deutsche Bank und die britische Barclays sollen in großem Volumen Dividendenstripping für Kunden, aber auch auf eigene Rechnung betrieben haben und gerieten deshalb ins Visier der Steuerfahnder. Im Dezember hat die HSH Nordbank vorsorglich eine Steuerrückstellung über 127 Millionen Euro für „gegebenenfalls unbegründet erstattete Kapitalertragssteuer“ vorgenommen.

Gewolltes Schlupfloch

Ob die Steuergeschenke „unbegründet“ waren, ist unter Juristen umstritten: Die Politik habe das Steuerschlupfloch bewusst geöffnet, um ausländische Finanzinvestoren anzuziehen. Und die Kanzlei Lindenpartners in Berlin sieht in den Antworten der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion im vergangenen Jahr „Widersprüche und Ungereimtheiten“. Dagegen betont der Sprecher von Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) auf Anfrage, dass die Cum-Ex-Gestaltung „schon immer unzulässig war“. Auch nach dem vor 2012 geltenden Recht hätten Steuergutschriften nur einmal bescheinigt werden dürfen.

Das Finanzgericht Hamburg gab vor 2012 den Finanzbehörden recht und erkannte Steuergutschriften einer GmbH nicht an. Der Finanzdienstleister ging in die Revision vor dem obersten Gerichtshof in Steuersachen.

Das Münchner Verfahren findet unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Wann mit der Verkündung der Entscheidung zu rechnen ist, so eine Sprecherin des Bundesfinanzhofes, lasse sich derzeit noch nicht absehen.HERMANNUS PFEIFFER