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Archiv-Artikel

Höhenflug mit Adler

SERIE A Derby in Italiens Hauptstadt: Tabellenführer Lazio trifft auf den AS Rom – und die Ultras drohen mit der Entscheidungsschlacht

Ist der brasilianische Lazio-Star Hernanes nun der neue Pele oder bloß ein neuer Kaká?

AUS ROM TOM MUSTROPH

Ist das Maskottchen richtig ausgewählt, stimmt gleich die Leistung. Seit Lazios Präsident Claudio Lotito einen Falkner auf seine Lohnliste setzte, der bei Heimspielen einen nordamerikanischen Weißkopfseeadler namens „Olimpia“ in den Himmel über dem gleichnamigen Stadion aufsteigen lässt, kann seine Mannschaft die Tabelle aus der Vogelperspektive betrachten.

Beides ist eine dicke Überraschung. Der römische Müllunternehmer Lotito galt bislang als eiserner Sparer. Er sanierte seit 2004 rigoros den Verein und nahm dafür in Kauf, dass der Meister von 2000 manche Saison mitten im Abstiegskampf verbrachte. Die außerplanmäßige Investition in den Adler aber hat sich bereits gelohnt: Lazio würde selbst bei einer Niederlage im sonntäglichen Derby gegen AS Rom noch die Tabellenführung in der Serie A behalten.

Nicht jeder der bislang sieben Lazio-Siege war allerdings ein Blendwerk an Fußballkunst. Beim jüngsten 1:0 in Palermo musste nicht nur Keeper Fernando Muslera den Oktopus spielen und reihenweise Bälle am Überqueren der Torlinie hindern. Auch der Schiedsrichter übersah gnädig ein Handspiel des Schweizer Außenverteidigers Lichtsteiner im Strafraum. Aber „Glück und einen Klassetorwart zu haben“, gehören zu den Attributen eines Branchenführers, stellte die Gazzetta dello Sport gelassen fest.

Da stieg sogar die Lazio-Aktie um 25 Prozent. Dass sich gegenwärtig beim Bieterverfahren für den Kauf der AS Roma nur sechs Investoren offiziell gemeldet haben, ist ein weiteres Indiz für die verkehrten Verhältnisse im römischen Fußball. Gleichheit herrscht gegenwärtig nur darin, dass die Maskottchen beider Vereine vor den Stadiontoren bleiben werden. Roms Polizeipräfekt ließ Lazios Adlerflug „aus Sicherheitsgründen“ unterbinden. Und Romas Altstar Francesco Totti ist wegen einer Roten Karte gesperrt und versprach, dem Olympiastadion fernzubleiben. „Das ist besser so, glaube ich“, meinte er.

Wem seine Abwesenheit nützen könnte, ist umstritten. „Vielleicht ist das für die Roma von Vorteil“, räsonnierte Tommaso Rocchi. Dem Lazio-Kapitän ist nicht entgangen, dass die lokale Konkurrenz in den letzten Wochen ohne Totti kompakter wirkte. „Gut für uns, dass er nicht spielt“, glaubt hingegen Lazios knorriger Trainer Edy Reja. Noch mehr als die gelegentlichen Geistesblitze des Roma-Frontmannes fürchtet er aber dessen Ausrasterpotenzial. Das wirft nämlich auch beste Matchpläne über den Haufen. Beim letzten Derby hatte Totti mit herunterzeigenden Daumen provoziert. Lazio verlor daraufhin ein wenig die Orientierung. Das grämte Reja. „Zehn Spiele Sperre“ forderte er damals für den Kontrahenten.

Jetzt kann sich Reja auf 90 Minuten ohne Totti freuen. Der Bauernsohn aus dem italienisch-slowenischen Grenzgebiet ist der Initiator des Lazio-Wunders. Er versteht es, einen Kader zu formen, Spieler besser zu machen und vielversprechende Diamanten auch tatsächlich zum Glänzen zu bringen. Nachdem er zuletzt den SSC Neapel aus der Serie C hochgeführt hat, sorgt er nun für einen Leistungsschub bei Lazio. Er versöhnte zerstrittene Spieler, brachte dem Ausnahmetalent Mauro Zarate mannschaftsdienliche Spielweise bei und kann stolz auf den Einbau von Hernanes sein. Der von der Londoner Times vor einem Jahr zum „erfolgversprechendsten Nachwuchsspieler der Welt“ gekürte Brasilianer war der einzige Wunschspieler Rejas auf dem sommerlichen Transfermarkt. Er bekam ihn. Und jetzt ist der 25-Jährige, bei dem die Brasilianer sich nicht entscheiden können, ob er der neue Pele oder bloß ein neuer Kaká sei, der Mann, der Lazios Offensivspiel schnell, elegant und gefährlich macht.

Gut möglich, dass Lazios Höhenflug auch dann weiter anhält, wenn bei den Großklubs die WM-Teilnehmer ihre Blessuren und Erschöpfungszustände auskuriert haben. Weil der AS Rom in diesem Jahr nicht als satisfaktionsfähiger Gegner gilt, haben sich Lazio-Fans noch eine andere Aufgabe ausgesucht. Nach Informationen der Tageszeitung Il Messaggero geht die Polizei davon aus, dass unter den landesweit berüchtigten Ultragruppen ein Streit um die Vorherrschaft in der Nordkurve ausgebrochen sei und sie ausgerechnet das Derby als Plattform für die Entscheidungsschlacht auserkoren haben.