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Archiv-Artikel

Gipfel soll es richten

AUS BERLIN ASTRID GEISLER

Die steigende Zahl rechtsextrem motivierter Straftaten hat erneut die Diskussion über notwendige Gegenmaßnahmen angefacht. Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) wandte sich mit einem „flehentlichen Appell“ an das Familienministerium, „die Bundesprogramme in ihrer Ausrichtung unbedingt fortzusetzen“. Man dürfe die Zahlen über den Anstieg rechtsextremer Delikte „nicht einfach abtun“ und ihre Übermittler als „Dramatisierer beschimpfen“, warnte Thierse.

Nach der jüngsten Statistik des Bundesinnenministeriums registrierte die Polizei zwischen Januar und August dieses Jahres bundesweit fast 8.000 rechtsextreme Straftaten – gut 20 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Damals lag die Zahl der gemeldeten Straftaten bei gut 6.600. Die Zahlen stammen aus einer Antwort des Ministeriums auf eine Anfrage der PDS-Abgeordneten Petra Pau.

Laut der Statistik stieg auch die Zahl der rechtsextrem motivierten Gewalttaten von rund 353 in den ersten acht Monaten des Vorjahres auf nunmehr 452 Übergriffe. Die Statistik gibt nur vorläufige Zahlen wieder. Erfahrungsgemäß melden die Behörden viele Fälle nach. Das heißt: Die endgültigen Werte dürften deutlich höher liegen. Trotz der steigenden Zahl rechtsextremer Übergriffe müssen ausgerechnet die Beratungsstellen für Opfer dieser Gewalt seit Monaten um ihre Existenz bangen. Zum Unverständnis vieler Fachleute beabsichtigt Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen (CDU), den Opferberatungen genau wie anderen bewährten Strukturprojekten in Ostdeutschland mittelfristig kein Geld aus dem neuen Bundesprogramm gegen rechts mehr zukommen zu lassen. Angesichts breiten Protests hat das Ministerium bisher nur zugesagt, eine Notfinanzierung bis Mitte 2007 zu gewähren.

„Was danach wird, ist unklar“, sagte Dominique John, Koordinator der Opferberatungsstellen in Ostdeutschland, der taz. Für ihn sind die jüngsten Polizeistatistiken keine Überraschung. Denn schon im September hatten die Opferberatungsstellen auf einen deutlichen Anstieg der von ihnen registrierten rechtsextremen Gewalttaten in mehreren ostdeutschen Ländern hingewiesen. Aus Johns Sicht liegt ein Zusammenhang mit den Wahlerfolgen der NPD auf der Hand. Diese hätten das Selbstbewusstsein der rechten Szene gestärkt.

Angesichts der Entwicklung plädierte die PDS-Politikerin Pau gestern für die Schaffung einer unabhängigen Beobachtungsstelle Rechtsextremismus. Solange es nur ein ungenaues Bild über das Ausmaß rechtsextremistischer Aktivitäten und regionale Schwerpunkte gebe, werde man auch nicht wirksam dagegen vorgehen können, erklärte Pau. Für eine solche Beobachtungsstelle machen sich laut John auch die Opferberatungen seit langem stark.

In Linkspartei und SPD wurde wegen der wachsenden Gefahr von rechts die Forderung laut, einen „Demokratiegipfel“ einzuberufen. Ein Projekt, das allerdings nach Ansicht der Grünen-Politikerin Monika Lazar „reine Zeitverschwendung“ wäre. Die Politik habe lange genug über Rechtsextremismus geredet. Nun sei es vordringlich, die finanzielle Zukunft der gefährdeten Beratungsstellen zu sichern. Wie Lazar kritisierte auch der SPD-Politiker Niels Annen den Kurs der Familienministerin. Zum Thema Rechtsextremismus höre man „wenig“ von der CDU-Politikerin, sagte Annen der taz. Dies sei angesichts der Bedrohung von rechts „irritierend“.

Das Bundesinnenministerium kommentierte seine jüngste Statistik gestern mit einer kurzen schriftlichen Erklärung. Der Anstieg der rechts motivierten Gewalttaten werde „mit Sorge betrachtet“, heißt es darin. Die Zahlen unterstrichen die Notwendigkeit, die „Bekämpfung dieses Phänomenbereichs“ zu intensivieren.