: „Ach du meine Tüte!“
WEITERVERARBEITUNG Die Materialisten von „Kunst-Stoffe Berlin“ sammeln wiederverwendbare Materialien – von Holz und Farbe bis zur Plastiktüte – und stellen sie für neue Verwendungen zur Verfügung
VON LUKAS DUBRO
Zurzeit vergeht kaum ein Tag in Neukölln, an dem sich nicht eine neue Wohngemeinschaft in der Gegend um den Hermannplatz oder an der Sonnenallee gründet. Billige Mieten und hübsche Altbauwohnungen ziehen StudentInnen und KünstlerInnen aus der ganzen Welt in den Südwesten der Innenstadt. Sind die Einzugsarbeiten einmal beendet, bleiben nicht selten Wandfarben, Schrauben oder Holzlatten übrig, für die keine Verwendung gefunden werden konnte. Häufig landen diese Materialien im Restmüll oder werden in irgendeiner Ecke verstaut.
„Wir freuen uns über solche Materialien, da sie sich hervorragend für eine weitere Verarbeitung eignen“, erklärt Corinna Vosse vom Verein „Kunst-Stoffe Berlin“ in einem Gespräch mit der taz. In Berlin gebe es eine wahnsinnige Menge von hochwertigen Werkstoffen, die zunächst keine nützliche Verwendung finden. Entsprechend sind Nachhaltigkeit und kritischer Konsum wichtige Stichwörter für den Verein.
In seiner Zentralstelle für wiederverwendbare Materialien nimmt der Verein seit 2006 Bau- und Werkstoffe jeder Art von Wirtschaftsunternehmen und Privatpersonen entgegen, um diese für eine Weiternutzung zugänglich zu machen. Außer Holz und Farbe sammeln die MitarbeiterInnen der Zentralstelle Bühnenteile, Schaumstoff, Planen, Wolle oder Metall. Sogar über einzelne Fließen freut sich der Verein. „Eine einzelne Fließe ist wertlos, 200 Fließen hingegen ergeben ein hübsches Mosaik“, resümiert Vosse.
Um die ganzen Materialien angemessen lagern und sortieren zu können, hat der Verein ein altes Garagengelände an der Berliner Straße in der Nähe des S- und U-Bahnhofs Pankow angemietet. In den zehn alten Garagen des Grundstücks sind die Stoffe untergebracht, jeder Raum ist bis zum Rand gefüllt. Ein Laden wurde eingerichtet, in dem die Stoffe verkauft werden. Über die Umsätze, projektbezogene Fördermittel und Preisgelder finanziert der Verein seine Arbeit. Derzeit gibt es zehn MitarbeiterInnen, die sich um die Zentralstelle kümmern.
Der Hof fungiert aber nicht nur als Lagerraum, sondern auch als Atelier für KünstlerInnen, als Bildungseinrichtung und als offene Werkstatt. Schulklassen können sich in den Räumen das Bühnenbild für die nächste Aufführung zusammenzimmern oder lernen, wie sie sich ihr Spielzeug selber basteln können.
Im Rahmen des Programms „Artists in Residence“ bietet der Verein KünstlerInnen die Möglichkeit, von Mai bis September die hauseigenen Ateliers zu nutzen und ihre Arbeiten anschließend auszustellen. Für eine Unterbringung sorgt der Verein ebenfalls.
In den offenen Werkstätten können Hobbyhandwerker für eine geringe Gebühr Geräte und Materialien nutzen oder sich eine Fachberatung abholen. „Wir versuchen kreative Arbeit mit der notwendigen Infrastruktur zu unterstützen“, erklärt Vosse. Für sein Engagement wurde die Zentralstelle vom Rat für Nachhaltige Entwicklung als erstes Projekt mit dem Label „Werkstatt N-Projekt 2011“ ausgezeichnet. Der Rat ist ein Gremium, das von der Bundesregierung ins Leben gerufen wurde und sich für die Entwicklung von nachhaltigen und zukunftsorientierten Projekten und Konzepten einsetzt.
Zu den wichtigsten Partnern der Zentralstelle zählen der Verein „Workstation“ und die Kulturinitiative „Förderband“, die dem Verein bei der Organisation und Gestaltung des Angebots zur Hand gehen. In Kooperation mit dem Pankower Fahrradladen „Moby Velo“ fertigt „Kunst-Stoffe“ zurzeit Lastenfahrräder an, um die ökologische Infrastruktur im Bezirk zu fördern. Die Fahrräder haben drei Räder und eine riesige Ladefläche an der Vorderseite, sie können bei „Moby Velo“ und auch direkt bei „Kunst-Stoffe“ gemietet werden.
Zusätzlich zu den Kooperationspartnern freut sich der Verein über jede helfende Hand. Je nach Interesse besteht die Möglichkeit, eigene Workshops anzubieten, bei der Erweiterung des Sortiments zu helfen oder sich um die Instandhaltung der Geräte zu kümmern. „Es gibt genug für alle zu tun“, sagte Vosse.
Am 26. November findet in den Räumen der Zentralstelle unter dem Motto „Ach, du meine Tüte!“ ein Workshop statt, auf dem gezeigt wird, wie Plastiktüten für den eigenen Gebrauch weiterverwendet werden können.
„Auch hier geht es darum, den Leuten das Bewusstsein zu geben, sich für den eigenen Bedarf selbst etwas zu schaffen, anstatt es irgendwo zu kaufen“, erklärte Vosse.
■ Kunst-Stoffe – Zentralstelle für wiederverwendbare Materialien e.V. www.kunstoffe-berlin.de