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Archiv-Artikel

Bordeaux – das Ende der Arroganz

Der Fabeljahrgang 2005 gilt jetzt schon als der teuerste in der Geschichte des berühmtesten Weinbaugebiets der Welt. Doch was nützt das? Unterhalb der Spitze ist die Luft dünn geworden

VON CLEMENS HOFFMANN

In der Einfahrt von Château Godard-Bellevue liegen träge Hofhunde. Sonst sieht man keine Lebewesen. Ringsum nur die gewellte Landschaft der Côtes de Francs und eine einsame Straße, die sich einen Hang hinaufwindet. Der Hof ist so menschenleer wie die gesamte Gegend etwas außerhalb des Weindörfchens Francs, selbst tagsüber. Ein Zeichen für die Krise des berühmtesten Weinbaugebiets der Welt.

„Kennen Sie die drei meistbesuchten Orte Frankreichs?“, fragt der Winzer Joseph Arbo mit listigem Augenaufschlag. Um dann selbst die Antwort zu geben: „Paris, Mont Saint-Michel, und dann kommt schon Saint-Émilion!“ Millionen Besucher zwängen sich Jahr für Jahr durch die schmalen Gassen der berühmten Bordeaux-Gemeinde, viele davon sind kaufkräftige Weintouristen auf den Spuren der prestigeträchtigsten Güter der Region. „Wir sind neun Kilometer von Saint-Émilion entfernt, aber keiner von denen findet den Weg zu uns“, beklagt sich Arbo.

Das war einmal anders: Im neunzehnten Jahrhundert zahlten die russischen Zaren noch ein Vermögen für die weißen Süßweine aus der Gegend von Francs und Tayac. Heute ist der Glanz verblasst. Die Côtes de Francs mit 550 Hektar Anbaufläche zählen zu den fünf Côtes de Bordeaux auf dem rechten Ufer der Dordogne. Viele einfache bis mittlere Bordeaux-Qualitäten stammen von hier, und in letzter Zeit sind erfreuliche Leuchttürme entstanden (zum Beispiel Château Puyguéraud und Château de Francs). Auch in die Nachbar-Appellation Côtes de Castillon haben einige berühmte (und finanzstarke) Saint-Émilion-Weingüter investiert und so das Niveau angehoben (Aiguilhe, Cap de Faugères, Robin).

Aber das Problem ist nicht die Qualität. Selbst in Saint Émilion geht der Handel nur noch schleppend. Das Problem ist das Marketing. Lange Zeit haben viele Weinregionen wegen ihres großen Namens ihre Imagepflege total verschlafen. Und auch jetzt wirkt die Öffentlichkeitsarbeit der Franzosen reichlich bemüht.

Joseph Arbo bewirtschaftet das 36-Hektar-Château seit 1998. Zu 80 Prozent baut der Winzer gebietstypischen Merlot an, der Rest ist mit Cabernet Sauvignon, Cabernet Franc und Malbec bestockt. Dazu noch etwas Sauvignon Blanc und Sémillion. Bis zu 60.000 Flaschen füllt er im Jahr. Arbo erzeugt Supermarktweine. Sein Erstwein, Château Godard Bellevue (8 Euro), und die Zweitcuvée, Château Puyanché (5 Euro), werden zum größten Teil über die belgische Kette Delhaize vertrieben. Einerseits ist Arbo froh über den sicheren Absatzkanal, andererseits ärgert es ihn maßlos, wenn sich die Großhändler nicht an die Absprachen halten und auch die Supermärkte in der Region Saint Émilion mit seinen Produkten beliefern. „Da gucken mich meine Kunden schief an, wenn sie bei mir ab Weingut mehr zahlen sollen als im Supermarkt nebenan.“

Doch er hat kaum eine andere Wahl: 7 Millionen Hektoliter Wein produziert allein die Region Bordeaux im Jahr, das sind 5 Prozent der Weltproduktion oder 525 Millionen Flaschen. Und die wollen erst einmal verkauft und getrunken sein. Schon gibt die EU jährlich fast eine halbe Milliarde Euro dafür aus, überschüssigen Wein in Industriealkohol zu destillieren. Und der französische Winzerverband hat entschieden, 8 Prozent der gesamten nationalen Anbaufläche zu roden. Kollegen von Arbo verschleudern ihre Produktion zu Kampfpreisen von 1 Euro für 100 Liter – als Füllmasse für die auch in Frankreich beliebten Kanister und Weinschläuche. Noch sind die Erfolgserlebnisse rar in der Weinwelt des Joseph Arbo, aber es gibt welche: Sein 2001er wurde vom französischen Weinführer „Guide Hachette“ zu dessen Lieblingswein („Coup de Coeur“) gekürt. Und im Superjahr 2005 haben ihm die Verkoster der Zeitschrift Revue du Vin de France seinem Château Godard-Bellevue „außergewöhnlichen Erfolg“ bescheinigt und die höchste Wertungsnote, „réussite exeptionnelle“, zuteil werden lassen. „Kräftige Fruchtnase, schmeichelnd im Mund, solide Tannine: ein Wein mit Charme und Potenzial“, schwärmten die Kritiker. Trotzdem wird Arbo auch den 2005er wieder für deutlich unter 10 Euro auf den Markt bringen, wie schon in den Jahren zuvor. Mehr ist nicht drin – nicht hier.

Knapp 40 Kilometer weiter südlich hüllt sich der Weiler Preignac in feinen Nieselregen. Ein Nebelschleier liegt über Château de Malle und seiner italienisch inspirierten Gartenlandschaft. Auf dem kiesbedeckten Parkplatz warten dunkle Limousinen mit Pariser Kennzeichen und Chauffeur – Weintouristen der gehobenen Sorte besichtigen gerade das prächtige Schloss aus dem 17. Jahrhundert. Es liegt im Sauternes-Gebiet. Das aristokratische Gemäuer gilt als „Monument historique“ und beherbergt ein Museum. Gleichzeitig dient es den Besitzern des 50 Hektar großen Weinguts, der Comtesse de Bournazel und ihrer Familie, als standesgemäßer Wohnsitz. Château de Malle gilt als „Deuxième Cru Classé“ nach der prestigeträchtigen Klassifikation von 1855.

Im Keller wirtschaftet Vincent Labergère. Unter seiner Regie entstehen aus edelfaulem Sémillion, Sauvignon und Muscadelle-Trauben je nach Jahrgang rund 40.000 bis 60.000 Flaschen Sauternes des Traditionslabels Château de Malle, außerdem der Zweitwein Château de Sainte-Hélène. Weil die Weinberge von Château de Malle auch in die Nachbarregion Graves hineinragen, produziert das Château neben den Süßweinen auch eine kleine Serie trockener Weiß- und Rotweine. Ein Glücksfall: Die trockenen Gewächse sichern dem Gut sein finanzielles Auskommen. Die Absatzkrise hat auch die edlen Süßweine voll erfasst: Sauternes klebt, Prestige hin oder her, in den Regalen der Händler.

Kellermeister Labergère glaubt aber, dass die Süßweinproduzenten der weltberühmten Appellation besser auf die Krise vorbereitet sind als ihre Kollegen andernorts in Bordeaux: „Sauternes war immer in der Krise, wir mussten mit beiden Beinen auf dem Boden bleiben und konnten zum Beispiel nie übertriebene Investitionen wagen.“ Das mag kokett klingen angesichts von Produkten wie Château d’Yquem, der zu den gesuchtesten Weinen der Welt gehört (was sich 2005 in Subskriptionsflaschenpreisen von 585 Euro und mehr niederschlug). Doch schon knapp unterhalb der absoluten Spitze ist die Luft dünner geworden – auch für Château de Malle. Man kooperiert mit der Schweizer Coop-Handelskette – und ist froh darüber.

Vincent Labergère geht mit der eigenen Zunft hart ins Gericht. Mit der Globalisierung und den aufstrebenden neuen Weinnationen habe die Krise im Sauternes nichts zu tun. Die Probleme seien hausgemacht, meint er: „Sauternes ist ein konkurrenzloses Produkt. Wenn wir es nicht schaffen, zu verkaufen, liegt das an uns.“ Der ambitionierte Önologe sieht den Sauternes vor einem gewaltigen Imageproblem. So herrsche seit bald vierzig Jahren die Vorstellung, Sauternes mache Kopfschmerzen. „Genau so lange wird den Leuten eingeredet, Sauternes sei nur mit Foie gras ein Genuss.“ Ebenso unsinnig sei die Meinung, eine Flasche müsse mindestens fünfzig Jahre alt sein. Am Probiertisch tritt Labergère den Gegenbeweis ein: Er serviert eine Flasche des 1998ers, der betörend nach Aprikosen, Orangenschale, Honig und Wachs duftet und trotz seiner Jugend enormen Nachhall am Gaumen erzeugt. Dazu empfiehlt Labergère würzige asiatisch-indische Küche oder salzigen Roquefort. Sauternes müsste sich im modernen Haushalt viel mehr durchsetzen, findet Labergère: „Es ist ein Produkt, das sich geöffnet im Kühlschrank gut zwei Wochen hält – versuchen Sie das mal mit einem Roten. Und dass er süß schmeckt, kommt den heutigen Lebensgewohnheiten doch auch nah!“ Sauternes als Einstiegsdroge für die Coca-Cola-Generation? Eine irritierende Vorstellung, doch wird der Preis die neue Zielgruppe abschrecken: Eine Flasche Sauternes kostet im Schnitt 6-mal so viel wie eine Flasche Roter – kaum verwunderlich bei Minimalerträgen von 12 bis 15 Hektolitern pro Hektar und bis zu 5 arbeitsintensiven Lesegängen. Ob er mit Zuversicht in die Zukunft schaut? Vincent Labergère zögert: „Wir brauchen Hilfe“, gibt er dann zu. „Mit dieser Arroganz, ‚Wir haben das beste Produkt der Welt, man wird es uns schon abkaufen‘, kommen wir nicht weiter. Ihn herstellen, das können wir, aber wir brauchen Leute, die es verstehen, Wein zu verkaufen!“

Die Busse mit den Tagesausflüglern sind verschwunden, am frühen Abend kehrt in der Altstadt der 2.300-Einwohner-Gemeinde Saint-Émilion wieder dörfliche Ruhe ein. Breitbeinig sitzt François des Ligneris an der Bar seines Weinrestaurants L’Envers du Décor und freut sich diebisch über seinen jüngsten Coup: Er war wieder einmal der Erste. Monate bevor die Winzerkollegen endlich ihre Subskriptionspreise für den Fabeljahrgang 2005 herausrückten – und sich dabei selbst überboten –, ist er mit seinem Château Soutard, einem Grand Cru Classé der Appellation Saint-Émilion, vorgeprescht: Moderate 20 Euro verlangt er für den 2005er, der frühestens 2008 an die Kunden ausgeliefert wird. Nicht mehr als in weniger guten Jahren.

Des Lingneris, der das seit über 250 Jahren in Familienbesitz befindliche Château Soutard soeben wegen Erbstreitigkeiten verkaufen musste, gilt als Enfant terrible der Branche. Er ist Poet, Idealist und Lebenskünstler – und mit einer gehörigen Portion Eigensinn ausgestattet. Wenn er der ihm verhassten Bordelaiser Weinhandelsszene mit seiner eigenen Preispolitik eine lange Nase drehen kann, bereitet ihm das höchstes Vergnügen. Nicht die höchstmögliche Rentabilität ist für ihn das Ziel, sondern die Achtung und der Respekt vor den Werten, die vergangene Generationen erwirtschaftet haben. Eine Einstellung, die sich gerade in Zeiten der Krise besonders zu bewähren scheint. Nach dem Verkauf von Château Soutard konzentriert sich des Ligneris auf seine weiteren Besitzungen in Corbières und Entre-deux-Mers. Dort betreibt er Ökoweinbau. Des Ligneris ist Mitglied der Vereinigung Ampélos, deren Programm in puncto Umweltregeln viele Biolabels übertrifft. Mit Vorliebe legt sich der streitbare Adlige – Spitzname: „der rote Baron“ – mit allen an, die aus dem Wein ein goldenes Kalb machen wollen. Weinkritiker wie der Amerikaner Robert Parker bekommen da genauso ihr Fett ab wie das mächtige französische Institut für Herkunftsbezeichnungen (INAO). Es bereitet ihm größte Freude, das sklerotische System Bordeaux mit ironischen Kommentaren und ebensolchen Guerillaaktionen zu torpedieren. So hat er jüngst auf einigen Parzellen in der Weißweinregion Entre deux Mers einen saftigen Merlot produziert und aus Protest gegen das rigide französische Herkunftssystem AOC als „Vin de Table“ deklassiert und mit Schraubverschluss versehen. 8,50 Euro kostet der edle Landwein, dessen Etikett Stehaufmännchen Ligneris auf Wunsch auch gleich signiert. So lässt sich der Krise trotzen. Die Flaschen ziert ein leeres Etikett, für das er sich sogleich das Copyright gesichert hat. „® de Rien“ heißt der Wein, „Als sei nichts gewesen“.

CLEMENS HOFFMANN, 36, ist freier Journalist und Weinautor. Er lebt in Berlin