Eine Affäre mit Dostojewski

ÜBERSETZUNG Sie war Professorin für Slawistik und Übersetzerin von achtunddreißig russischen Romanen: Swetlana Geier starb mit 87 Jahren

„Wo ich bin, ist Russland“, hat sie einmal gesagt. Als Swetlana Iwanowa wurde sie 1923 als Tochter russischer Eltern im ukrainischen Kiew geboren, den Namen Geier erwarb sie später durch Heirat mit einem Deutschen. Da lebte sie schon eine Weile im Freiburger Vorort Günterstal, dem Ort, an dem sie jetzt, am 7. November, starb.

Swetlana Geier war in ihren letzten Lebensjahrzehnten zu der wahrscheinlich bekanntesten Literaturübersetzerin Deutschlands geworden und wird im Gedächtnis bleiben als die Frau, die sich traute, Dostojewskis „Schuld und Sühne“ endlich „richtig“ zu übersetzen als „Verbrechen und Strafe“.

Im Frühjahr dieses Jahres kam sogar ein Dokumentarfilm über das Leben der vielfach Preisgekrönten ins Kino, „Die Frau mit den fünf Elefanten“ des Schweizer Filmemachers Vadim Jendreyko. Für die Dreharbeiten fuhr Swetlana Geier erstmals wieder nach Kiew, das sie sechzig Jahre lang nicht besucht hatte.

In Deutschland war das Leben der Swetlana Geier zur Ruhe gekommen. Zwar hatte sie in Kiew eine wohlbehütete, privilegierte Kindheit genossen und erhielt bereits ab dem Alter von fünf Jahren Privatunterricht in Deutsch und Französisch. Doch dann wurde ihr Vater, ein Agronom, während der stalinistischen „Säuberungen“ inhaftiert und starb 1939 an den Folgen der erlittenen Folter. Nachdem die Deutschen Kiew besetzt hatten, arbeitete die junge Swetlana als Dolmetscherin für ein deutsches Unternehmen und floh gegen Kriegsende, aus Angst, in der Sowjetunion als Kollaborateurin verfolgt zu werden, mit ihrer Mutter nach Deutschland, wo sie zunächst in einem Lager für „Ostarbeiter“ landete. Durch die Hilfe wohlmeinender Beamter erhielt die brillante junge Sowjetbürgerin ein Stipendium, das ihr noch im Jahr 1944 die Aufnahme des Studiums an der Universität Freiburg ermöglichte.

Der Freiburger Hochschule blieb Swetlana Geier auch als Dozentin viele Jahrzehnte verbunden, übernahm dazu auch Lehraufträge an anderen Universitäten und erarbeitete die Lehrpläne für den bundesweiten Russischunterricht an den Waldorfschulen. Seit 1953 übersetzte sie auch Literatur aus dem Russischen ins Deutsche, zunächst nur hin und wieder, später wurde daraus eine ernsthafte Nebentätigkeit. Davon leben musste sie nie, denn für das tägliche Auskommen sorgte ihre Arbeit an der Universität.

Swetlana Geier konnte sich viel Zeit lassen für ihre Übersetzungen, und zumal später, als das Gros der Lehrverpflichtungen hinter ihr lag, ging sie ganz darin auf. Ihre große Affäre mit Dostojewski begann in den neunziger Jahren, als sie es übernahm, dessen Romane für den Ammann Verlag neu zu übersetzen. Ob sie schon immer Dostojewski habe übersetzen wollen, fragte einmal eine Interviewerin und bekam zur Antwort, Dostojewski zu übersetzen sei ungefähr das Gleiche, wie unbedingt den Prinzen heiraten zu wollen. Für den skrupulösen Transfer der sprachlichen und stilistischen Eigenarten des Petersburger Schnellschreibers ins Deutsche ist Geier viel gepriesen worden; endlich könne man die Dostojewski’sche Polyfonie auch in den deutschen Übersetzungen nachvollziehen, freute sich die Fachwelt. Und das ist etwas, das wohl bleiben wird.

Insgesamt hat Swetlana Geier im Laufe ihres Lebens achtunddreißig Werke aus dem Russischen übersetzt, darunter Tolstoi, Bely, Bulgakow, Solschenizyn, Platonow und das Gesamtwerk Andrei Sinjawskis. Den Dostojewski aber, den hat sie ganz neu für uns erfunden. Das reicht aus für ein gutes Stück Unsterblichkeit. KATHARINA GRANZIN