: Flucht ins Fernsehen
Deutsche Leiden im und um den Zweiten Weltkrieg sind in der aktuellen TV-Fiction längst angekommen. Sie sorgen im Inland für Diskussionen – und lassen sich im Ausland gut verkaufen
VON WILFRIED URBE
„Deutsche Fiktion ist mittlerweile im europäischen Wettbewerb das stärkste Produkt“, lautete vor einer Woche das Fazit beim wohl wichtigsten TV-Programmmarkt Europas, der Mipcom im südfranzösischen Cannes. Die Zeit des Hässliche-Entlein-Daseins deutscher TV-Produktionen, als sich gerade mal ein Inspektor namens „Derrick“ verkaufen lies, ist vorbei. Und es sind, wie zu erwarten, vor allem die teuren „Event-Produktionen“ über und um den Zweiten Weltkrieg, die sich im Ausland bestens verkaufen: Stauffenberg“ (ARD, 2004) ist bisher in 82 Länder verkauft, „Dresden“ (ZDF, 2006) immerhin schon in 68. Der Spitzenreiter, „Der Untergang“, Oliver Hirschbiegels düsteres Epos über Hitlers letzte Tage, ging sogar in 145 Länder. Und das ist erst der Anfang.
In Cannes präsentiert wurde „Flucht und Vertreibung“ – internationaler Titel „March of the Millions“– über den Exodus der deutschen Bevölkerung aus Ostpreußen gegen Kriegsende. Oder „Laconia“, eine Koproduktion mit der britischen BBC über das von einem deutschen U-Boot versenkte Passagierschiff. Die anschließenden Rettungsversuche hatten zu dem berüchtigten „Laconia-Befehl“ der NS-Kriegsführung geführt, nachdem die Rettung Schiffbrüchiger verboten wurde. Hinter beiden Filmen stecken Jan Mojto, früher bei Kirch und heute mit seiner eigenen Firma Eos Spezialist für solche millionenschweren internationalen Koproduktionen – und Nico Hofman von der Ufa-Tocher Teamworx („Dresden“, „Stauffenberg“, „Sturmflut“).
Ebenfalls teuer, aufwendig, weltkriegsbezogen und mit Ufa-Geld wird 2007 der Untergang der „Wilhelm Gustloff“ in Szene gesetzt. Regisseur Josef Vilsmaier kann mit einem Budget von zehn Millionen Euro dabei aus dem Vollen schöpfen.
Eines eint alle diese zeitgeschichtlichen Dramen: Deutsche erscheinen nicht nur als Täter, sondern vor allem auch als Opfer. Doch was früher äußert heikel war – gerade wenn es um die internationale Vermarktung eines Films geht –, ist heute kein Problem mehr: „Dresden ist das letzte Beispiel dafür, wie eine Nation versucht, eine schmerzvolle Vergangenheit im Film zu verarbeiten“, schrieb die konservative Londoner Times über „Dresden“. Auch Isabelle Helle von BBC Worldwide findet „es gut, dass solche hochwertigen Produktionen entstehen. In Deutschland hat sich viel geändert.“
Von „rein deutschen Geschichten“, die auch „aus deutscher Sicht erzählt“ werden sollen, spricht auch der gebürtige Slowake Jan Mojto. Die Sicht von außen, etwa durch amerikanische Filme, wären oft genug erzählt worden. Mojto: „Deutsche auch als Opfer zu sehen, muss nach 61 Jahren gestattet sein. Es hat ja sowieso ein Generationswechsel stattgefunden, befreit von der vielleicht manchmal einseitigen Sicht der unmittelbaren Nachkriegszeit.“ Nico Hofmann möchte zukünftig noch weitergehen: Sein Projekt „Generation 21“ soll das deutsche „Band of Brothers“ werden, jene Steven-Spielberg-Serie über eine US-Einheit im Zweiten Weltkrieg. Hofmann will die Schicksale von Menschen, die Anfang der zwanziger Jahre geboren sind, nachzeichnen, „um der Generation meiner Eltern ein Denkmal zu setzen“. Als Doku-Drama, „basierend auf echten Lebensläufen und mit Zeitzeugeninterviews“. Für ihn haben solche Filme „eine reinigende Wirkung. „Dresden“ beispielsweise war Gesprächsthema in vielen Familien.“ Auch „Flucht und Vertreibung“ werde eine „große Diskussion“ hervorrufen – und die, so Hofmann, „ist vielleicht auch notwendig“. Ihm wie Mojto geht es um ein differenziertes Bild der Ereignisse: In Flucht und Vertreibung werden die Erschießung von Zwangsarbeitern genauso gezeigt wie Vergewaltigungen deutscher Frauen. Schon in „Dresden“ war der Held der Geschichte ein über Sachsen abgeschossener britischer Pilot, der sich als deutscher Landser ausgab.
Diese „andere Seite“ ebenfalls zu schildern, ist dabei allerdings nicht allein durch diesen neuen inhaltlichen Ansatz motiviert – sondern auch ein absolutes Muss, um einen Film überhaupt für Auslandsverkäufe fit zu machen. So wird die Figur des französischen Kriegsgefangenen Francois, der in „Flucht und Vertreibung“ die Zuneigung der adligen ostpreußischen Gutsbesitzerin Lena (Maria Furtwängler) erringt, schon alleine deswegen wichtig, um Interesse in Frankreich zu wecken.
Fest steht: Deutsche Leiden während des Zweiten Weltkrieges sind in der in der aktuellen TV-Fiction angekommen. Doch was ist mit den Risiken? Der Historiker Hans-Ulrich Wehler warnte bereits vor Geschäftemachern, die aus dieser Entwicklung Kapital schlagen – und mahnt zur Vorsicht: „Wenn nun ein Film über Flucht und Vertreibung kommt, der mit den Trecks über das Kurische Haff beginnt, ohne auf die Umsiedlungspolitik der Nazis zuvor hinzuweisen, dann sind die Weichen bereits falsch gestellt.“