: Abfrage für den Kinderschutz
Hamburg plant Bundesinitiative: Bei Verdacht auf Gefährdung des Kindeswohls sollen Jugendämter Zugriff auf Straftatenregister von Eltern und anderen Bezugspersonen erhalten
VON KAIJA KUTTER
Als eine Konsequenz aus dem Tod der kleinen Jessica vor gut anderthalb Jahren startet Justizsenator Carsten Lüdemann (CDU) jetzt eine Bundesratsinitiative. Jugendämter sollen künftig bei Verdacht auf Kindeswohlgefährdung einen Zugriff auf das „Bundeszentralregister“ (BZRG) erhalten. Bislang war ihnen nur der Einblick ins polizeiliche Führungszeugnis gestattet. Die Opposition signalisiert Zustimmung – und ist skeptisch.
„Es handelt sich hier nur um einen kleinen Baustein zum Kinderschutz“, erklärt Lüdemanns Sprecher Carsten Grothe. So sei der nach Jessicas Tod eingerichteten überbehördlichen Arbeitsgruppe „Informierte Jugendhilfe“ aufgefallen, dass die Jugendämter wichtige Informationen, die auf Kindeswohlgefährdung hinweisen, gar nicht erhielten. Sei ein Erwachsener wegen Besitz von Kinderpornografie, Misshandlung von Schutzbefohlenen oder Verletzung der Fürsorgepflicht verurteilt, finde sich diese Information zwar im „Bundeszentralregister“, nicht aber im polizeilichen Führungszeugnis wieder. Nur darauf jedoch hatten Jugendämter bisher Zugriff. Darin würden Straftaten erst ab einer gewissen „Schwelle“ aufgeführt, wie beispielsweise sexuelle Nötigung von Kindern, sagt Grothe. Es gebe eine ganze Reihe von Delikten, „die bei Kindeswohlgefährdung Indizcharakter haben und dort nicht drin stehen“.
Abgefragt werden dürfen gemäß den Hamburger Vorstellungen nicht nur Informationen über die Eltern, sondern über alle „Personen aus dem häuslichen Umfeld des Kindes“. Wenn der Stiefvater kinderpornografische Schriften lese, sagt Grothe, „ist das ein wichtiger Hinweis zur Frage, ob das Kind in der Familie bleiben sollte“.
Anderen Behörden sei der Einblick in das erwähnte Bundeszentralregister erlaubt, beispielsweise den Aufsichtsbehörden, wenn ein Bürger einen Jagdschein oder die Erlaubnis zum Führen eines gefährlichen Hundes beantrage. „Es scheint uns nur vernünftig, dies auf den Schutz der Kinder zu übertragen“, sagt Grothe. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung müsse hinter dem Kinderschutz zurückstehen.
Um den erleichterten Datenzugriff zu ermöglichen, muss Bundesrecht geändert werden. Angekündigt hatte der Senat die Initiative bereits bei der Vorstellung der Drucksache „Hamburg schützt seine Kinder“ vor gut einem Jahr. In den vergangenen Monaten habe die Behörde die Vorlage erarbeitet und die Chancen in den anderen Bundesländern ausgelotet, berichtet Lüdemann. Diese stünden gut: „Wenn wir mit der Gesetzesänderung nur einen Fall von Kindesmissbrauch früher erkennen und verhindern, hat es sich schon gelohnt.“
Bei der Opposition stößt die Initiative nicht auf Widerspruch. „Kann man machen“, sagt der SPD-Sozialpolitiker Dirk Kienscherf. Der Zugriff aufs Zentralregister löse aber nicht die Probleme: „Was die Jugendämter brauchen, ist mehr Zeit, um die Familien aufzusuchen.“ Nach Informationen seiner Fraktionskollegin Andrea Hilgers sind zurzeit bei den Allgemeinen Sozialen Diensten (ASD) neun Stellen unbesetzt. Der Senat spiele mit dem Feuer, kritisiert sie. „Er verhindert, dass die Sozialarbeiter auch tatsächlich die Familien aufsuchen, um sich vor Ort ein Bild von den zu betreuenden Kindern zu machen.“